Soziales Klima immer eisiger
Das gesellschaftliche Klima wird immer eisiger. Die Angst vor sozialem Abstieg führt zu einer aggressiven Stimmung gegen Hilfsbedürftige, wie es eine Untersuchung ergab. Dabei gebärden sich vor allem Besserverdiener zunehmend aggressiver. Soziales Klima immer eisiger!
Das gesellschaftliche Klima hierzulande wird immer eisiger. Die Angst vor sozialem Abstieg ist vor allem unter Besserverdienern so stark, dass sie zu einer aggressiven Stimmung gegen Hilfsbedürftige führt. Dies ergab eine ergab die repräsentative Umfrage von 2000 Menschen, die das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung IKG der Universität Bielefeld durchgeführt hat.
Besserverdiener immer aggressiver
Wie Olivia Schoeller in der Frankfurter Rundschau (S-Ausgabe vom 4./5. Dezember 2010 auf Seite 6) die Ergebnisse zusammenfasst, steigt die Zahl der Deutschen, „die mit Abneigung auf Fremde und Menschen blickten, die nicht als Leistungsträger dieser Gesellschaft gelten.“ Dabei sei es „bemerkenswert […], dass vor allem unter Besserverdienern die aggressive Stimmung gegenüber Hilfsbedürftigen zugenommen hat.“
Während die Angst vor sozialem Abstieg bisher hauptsächlich Menschen mit niedrigerem Einkommen betraf, haben zunehmend Besserverdiener mit einem Einkommen von mehr als 2500 Euro netto „das Gefühl, dass sie heute weniger als ihren gerechten Anteil erhalten“ und „zu den Verlierern zählen“. Dies sei vor allem auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen. Interessant ist zudem die Zunahme von Islamfeindlichkeit unter Menschen, die sich politisch in der Mitte oder gar links einordnen.
Anstieg rechtspopulistischer Tendenzen
In einer nach der Quelle des IKG angefertigten Grafik der Frankfurter Rundschau wird ersichtlich, dass es unter den Armen („unter 650 Euro“) und den Schichten mit einem niedrigen Einkommen („650 bis 1299 Euro“) zwischen dem letzten und diesem Jahr nur einen geringen Anstieg „rechtspopulistischer Meinungen“ gibt, bei den mittleren Einkommen („1300 bis 2598 Euro“, sic!) eine gleich bleibende Tendenz.
In keiner anderen Gruppe wie bei den Besserverdienenden („ab 2598 Euro“, sic!), „die rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen“, ist der Anstieg jedoch so deutlich – und das, obwohl sie insgesamt noch hinter den anderen Einkommensgruppen zurückliegt! Dies könne nicht an den Debatten um Thilo Sarrazin, seinen Thesen und dem Erscheinen seines Buchs „Deutschland schafft sich ab“ liegen, da diese Langzeitstudie schon vorher durchgeführt wurde, doch er „traf […] offenbar auf diese Stimmung.“
„Eisiger Jargon der Verachtung“
„Insgesamt stellt die Studie eine Entsolidarisierung und eine Ökonomisierung der Gesellschaft fest“, folgert die Autorin des Rundschau-Artikels, und weiter: „Vor allem die Besserverdiener würden in Krisen immer häufiger den Wert eines Menschen in dessen Leistung messen.“ Wilhelm Heitmeyer, Leiter des IKG und Herausgeber der unter dem Titel „Deutsche Zustände“ auch in Buchform erschienenen Langzeitstudie (hierzu Folge 8, 2010), spricht gar von einem „eisigen Jargon der Verachtung durch die Eliten“.
Dass das soziale Gefüge unserer Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet und -bricht, ist schon länger spürbar. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob, bis und wie dieser „Jargon der Verachtung“ auch in die Tat umgesetzt wird. Und wie die Verachteten darauf antworten werden, falls sie nicht schon vorher reagieren Soziales Klima immer eisiger, eine beunruhigende Tendenz!
[Nachtrag vom 13. Dezember 2011: siehe auch Studie: Sozialforscher warnt vor „Klassenkampf von oben“ | Politik | ZEIT ONLINE und die dort verlinkten weiteren Artikel zum Thema!]
Aktualisierung vom 16. März 2016
Was die Verachtung der Armen mit den Wahlerfolgen für die AfD zu tun hat, beschreibt der Artikel „Nach der Wahl starren alle auf die AfD — dabei steht Deutschland vor einer viel größeren Gefahr“ von Sebastian Christ aus The Huffington Post vom 14. März 2016.
traurige Zeiten …
wo mag das enden?
Möglicherweise werden die Besserverdienenden demnächst anfangen, an ihren Geländewagen und Obere-Mittelklasse-Limousinen (die sie natürlich noch nicht abbezahlt haben) Aufkleber mit der Aufschrift „Eure Armut kotzt mich an!“ anzubringen …
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