„So kam ich unter die Deutschen …“
So kam ich unter die Deutschen. Ich foderte nicht viel und war gefasst, noch weniger zu finden. Demüthig kam ich, wie der heimathlose blinde Oedipus zum Thore von Athen, wo ihn der Götterhain empfieng; und schöne Seelen ihm begegneten –
Wie anders gieng es mir!
Barbaren von Alters her, durch Fleiss und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glük der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit belaidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefässes – das, mein Bellarmin! waren meine Tröster.
Es ist ein hartes Wort und dennoch sag’ ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesezte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstükkelt untereinander liegen, indessen das vergossne Lebensblut im Sande zerrinnt?
Ein jeder treibt das Seine, wirst du sagen, und ich sag’ es auch. Nur muss er es mit ganzer Seele treiben, muss nicht jede Kraft in sich erstiken, wenn sie nicht gerade sich zu seinem Titel passt, muss nicht mit dieser kargen Angst, buchstäblich heuchlerisch das, was er heisst, nur seyn, mit Ernst, mit Liebe muss er das seyn, was er ist, so lebt ein Geist in seinem Thun, und ist er in ein Fach gedrükt, wo gar der Geist nicht leben darf, so stoss ers mit Verachtung weg und lerne pflügen! Deine Deutschen aber bleiben gerne beim Nothwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Ächterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos seyn für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. –
[…]
Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk, und was selbst unter Wilden göttlichrein sich meist erhält, das treiben diese allberechnenden Barbaren, wie man so ein Handwerk treibt, und können es nicht anders, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zwek, da sucht es seinen Nuzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre Gott! es bleibt gesezt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und selber, wenn des Frühlings holdes Fest, wenn die Versöhnungszeit der Welt die Sorgen alle löst, und Unschuld zaubert in ein schuldig Herz, wenn von der Sonne warmem Strale berauscht, der Sclave seine Ketten froh vergisst und von der gottbeseelten Luft besänftiget, die Menschenfeinde friedlich, wie die Kinder, sind – wenn selbst die Raupe sich beflügelt und die Biene schwärmt, so bleibt der Deutsche doch in seinem Fach’ und kümmert sich nicht viel ums Wetter!
[…]
Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn doch einmal diesen Gottverlassnen einer sagte, dass bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit den plumpen Händen, dass bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihns, die göttliche Natur nicht achten, dass bei ihnen eigentlich das Leben schaal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist, weil sie den Genius verschmähn, der Kraft und Adel in ein menschlich Thun, und Heiterkeit ins Leiden und Lieb’ und Brüderschaft den Städten und den Häusern bringt.
Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, und leiden, um des Austernlebens willen, alle Schmach, weil Höhers sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt.
[…]
Und wehe dem Fremdling, der aus Liebe wandert, und zu solchem Volke kömmt, und dreifach wehe dem, der, so wie ich, von grossem Schmerz getrieben, ein Bettler meiner Art, zu solchem Volke kömmt! –
Aus Friedrich Hölderlin: Hyperion oder Der Eremit in Griechenland, Köln 2005, S. 168 ff., hier zitiert aus Wikisource: Hyperion. Die zitierten Passagen finden sich im II. Band – 2. Buch, Hyperion an Bellarmin LIX. Siehe hier auch ein weiteres Hölderlin-Zitat „Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte“ und zu den religiösen Aspekten „Christenthum als Alterthum“, ein passendes Zitat von Nietzsche, sowie „Streiten Sie nicht mit einem Deutschen …“!
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