Der unerbittliche Nachschub an Nahrung
Patrick Leigh Fermor war ein interessanter Mann. Nicht nur, dass er während des Zweiten Weltkriegs sozusagen „im Geheimdienst ihrer Majestät“ unterwegs war, nein, als damaliger jugendlicher Student beschloss er 1933, eine Wanderung von London aus durch Mittel- und Südosteuropa bis nach Konstantinopel anzutreten. Diese führte ihn auch durch Nazi-Deutschland. Was er etwa in München im Hofbräuhaus erlebte, schilderte er in seinen Reisetagebüchern. Der unerbittliche Nachschub an Nahrung erregte dort sein besonderes Interesse:
Und im Herzen dieses Viertels stand ein massiger Bau, mein Ziel: das Hofbräuhaus. Aus der schweren Tür mit dem Rundbogen darüber spie es eben einen Trupp Braunhemden auf den zertretenen Schnee. […] Ein stöhnender Nazi hatte es nur noch halb die Treppe hinuntergeschafft, stützte den Arm mit der Hakenkreuzbinde an der Wand ab und spuckte alles, was er im Laufe von Stunden zu sich genommen hatte, in einem schier unendlichen Schwall über die Stufen wieder aus. Verlorene Liebesmüh. […]
Doch nicht die Uniformierten, sondern die anderen Gäste des Lokals fesselten meine Aufmerksamkeit. Vom Oberlauf des Rheins muß man einhundertundachtzig Meilen ostwärts reisen und von den Gipfeln der Alpen siebzig nordwärts, um zu begreifen, in welchem Maße Bier zusammen mit beinahe ununterbrochenem Essen – Mahlzeit um Mahlzeit in so rascher Folge über den ganzen Tag, daß kaum eine Zeit bleibt, in der man nichts zu sich nimmt, – den Körper eines Menschen verändern kann. Magengrimmen und der unerbittliche Nachschub an Nahrung schlagen manch einem Deutschen aufs Gemüt, zeigen sich in finsterer Miene und machen sich in heftigen Worten und Taten Luft.
Die Leiber dieser tafelnden Bürger waren breit wie ein Fass. Ihre Gesäße, auf die Wirtshausbänke gedrückt, nahmen gut und gern einen Meter ein. Sie teilten sich zu Oberschenkeln dick wie der Körper eines Zehnjährigen, und Arme vergleichbarer Stärke drohten das Tuch ihrer Janker zu sprengen. Hals und Brust verschmolzen zu einer massigen Säule, und jeder Stiernacken war in Falten gelegt wie ein trügerisches Lächeln. Jedes Härchen war von diesen massigen Köpfen geschabt, auch auf dem Schädel. […] Der jüngste dieser Gesellschaft, der aussah wie ein jugendlicher Liebhaber, den ein böser Zauberer mit einem grausamen Bann belegt hat, war der dickste. Unter üppigen blonden Locken blickten porzellanblaue Augen zwischen Backen, die wie mit der Fahrradpumpe aufgeblasen schienen, und zwischen kirschroten Lippen blitzte ein Gebiss von der Art, vor dem Kinder schreiend davonlaufen.
(Aus Patrick Leigh Fermor: Zeit der Gaben. Zu Fuß nach Konstantinopel: Von Hoek van Holland an die mittlere Donau. Der Reise erster Teil, Frankfurt am Main 2007, S. 136 und 138f. Siehe den Wikipedia-Artikel über ihn und hier etwa „Wir Schweinedeutsche“ und „Tischgebet beim Grillfest“, „Ein merkwürdiges Volk in einem merkwürdigen, feindlichen Land“ sowie „So kam ich unter die Deutschen …“!)
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