Die Unendlichkeit der Dummheit
Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.
Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.
If you want truth to go round the world you must hire an express train to pull it; but if you want a lie to go round the world, it will fly: it is as light as a feather, and a breath will carry it.
von Joseph von Eichendorff
I.
Man setzt uns auf die Schwelle
Wir wissen nicht, woher?
Da glüht der Morgen helle,
Hinaus verlangt uns sehr.
Der Erde Klang und Bilder,
Tiefblaue Frühlingsluft,
Verlockend wild und wilder,
Bewegen da die Brust.
Bald wird es rings so schwüle,
Die Welt erathmet kaum,
Berg’, Schloß und Wälder kühle
Steh’n lautlos wie im Traum,
Und ein geheimes Grausen
Beschleichet unsern Sinn:
Wir sehnen uns nach Hause
Und wissen nicht, wohin?
von Eugen Gomringer
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Das Glück macht nie so glücklich wie das Unglück unglücklich macht. Und das liegt nicht daran, dass es länger dauert, das Unglück. Es ist einfach so.
Lautsprecher: Ruhe in Trakt 19. Es wird geschlafen jetzt.
(Stille)
Katar: Erzähl schon, erzähl. Du hast dich informiert, oder? Du weißt über alles Bescheid, ja? Was haben sie gesagt bei ihrer Ankunft?
Amiel: „Bzzzzzzz, bzzzzzzz, wir sind auf dem Grund des ‚Meeres der Stille‘, der Adler ist gelandet.“
Katar: Und dann sind sie wirklich gelaufen?
Amiel: Zuerst ist nur einer ausgestiegen. Er hat versucht, einen Fuß auf dem Mondboden aufzusetzen. Es hat ausgesehen, als ob er schwankte. Jedenfalls hab ich’s so aus der Zeitung, aber schließlich machte er den ersten Schritt.
Katar: Wo hast du den Zeitungsausschnitt?
Amiel: Ich hab ihn verschluckt … wenn man ihn bei der Durchsuchung fände, wäre ich verloren.
Katar: Und was hat er gesagt?
Amiel: Wann?
Katar: Als er den Mond betreten hatte.
Amiel: Zahlen, glaube ich.
Katar: Und der andere?
Amiel: Der andere ist erst später ausgestiegen. In der Zeitung stand, den ganze Menschheit hat diese Heldentat im Fernsehen verfolgt.
Katar: Nur wir nicht.
Amiel: Erst später haben sie gesprochen, einer von ihnen sagte [über Lautsprecher]: „Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, alle, die uns hören, wo immer sie sich auch befinden mögen, zu bitten, sich einen Augenblick andächtig zu sammeln, über die Ereignisse der letzten Stunden nachzudenken und Dank zu sagen – jeder auf seine Weise.“ […]
Katar: Von uns haben sie nicht gesprochen?
Amiel: Wieso von uns?
Katar: Na, von uns hier.
Amiel: Niemals wird von uns gesprochen, von keinem.
Katar: Sogar die ersten Menschen auf dem Mond erinnern sich nicht an uns.
[…]
Lautsprecher: Dieses Gefängnis ist berühmt und berüchtigt. Grauenhafte Verbrechen sind dort geschehen. An manchen Stellen der Mauern des Innenhofs, ein Hof mit Akazien, sind noch Ausbesserungen zu sehen – Einschläge der Maschinengewehrsalven bei Massenhinrichtungen. Tausende von Menschen sind in diesem Gefängnis gestorben oder haben es nur verlassen, um zum letzten Gang anzutreten. Pausenlos ist man hier Prügel und Folter ausgesetzt.
[…]
[Später, in einem Traum Amiels:]
Katar als „reicher Freund“: Durero! Durero!
Amiel als „Durero“: Ja?
Katar als „reicher Freund“: Erinnerst du dich nicht an mich? Ich bin Aristodome. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen!
Amiel als „Durero“: Aristodome! Ich habe dich nicht wiedererkannt … Ich bin erst seit gestern freigekommen … ich bin noch wie blind.
Katar als „reicher Freund“: Von wo herausgekommen?
Amiel als „Durero“: Aus der Strafanstalt.
Katar als „reicher Freund“: Du warst im Gefängnis? Das wußte ich gar nicht.
Amiel als „Durero“: Die Presse durfte nicht darüber berichten.
Katar als „reicher Freund“: Aber was ist denn mit deinen Augen, mein Lieber?
Amiel als „Durero“: Durch die Enge. Weil ich keinen Horizont sah, sondern nur die Wände meiner Zelle oder die hohen Mauern des Innenhofs anstarren konnte, haben sich meine Augen daran gewöhnt, nur noch von nahem zu sehen. Jetzt, auf der Straße, bin ich ganz schwindlig und fast blind.
Katar als „reicher Freund“: Ach so. Aber das ist ja unbegreiflich! Der Mensch hat den Mond betreten und bereitet sich darauf vor, in die Galaxis vorzustoßen, und zur selben Zeit gibt es Menschen, die nicht einmal den Horizont sehen. […] Wieviel Jahre warst du denn im Gefängnis?
Amiel als „Durero“: Im ganzen dreiundzwanzig Jahre.
Katar als „reicher Freund“: Dreiundzwanzig Jahre? Unfaßbar!
Amiel als „Durero“: Ich bin kein Einzelfall, keineswegs, das kannst du mir glauben.
Im Vergleich zur linksextremen Gefahr ist ein Mord, was weiß ich, alle zwei, drei Jahre, aus irgendwelchen Hassgründen relativ normal.
Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle einen Odem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh; denn es ist alles eitel. Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Odem der Menschen aufwärts fahre und der Odem des Viehes hinab unter die Erde fahre?
„Die Gelehrten und die Pfaffen“, unter diesem (falschen!) Titel findet sich das Gedicht von Eduard Mörike häufig in Ostergrüßen. Und ebenso häufig nicht wortwörtlich und stark gekürzt wiedergegeben. Etwa so:
Die Gelehrten und die Pfaffen
streiten sich mit viel Geschrei,
was hat Gott zuerst erschaffen –
wohl die Henne, wohl das Ei!
Wäre das so schwer zu lösen –
erstlich ward ein Ei erdacht,
doch weil noch kein Huhn gewesen –
darum hat’s der Has’ gebracht.
Womit wenigstens das Rätsel gelöst wäre, woher die Ostereier kommen.
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The question is not: how can there be poetry after holocausts?
But: how can there be holocausts after poetry?
(An antithesis to Adorno’s statement that writing poetry after Auschwitz was barbaric. From the film: In Praise of Nothing/ Slatko od nista by Boris Mitić, Serbia, Croatia, France 2017, spoken by Iggy Pop)
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