Der letzte Akt einer Liebe
Langsam drehe ich das Glas Rotwein auf dem Bierdeckel hin und her.
„Wie meinst’n das jetzt? Ironisch oder so?“ fragt sie. Gerade hat sie von ihren Auswanderungsplänen erzählt und dass sie sich in einen anderen Typen verliebt hatte, worauf ich ihr alles Gute wünschte.
„Nein, ich meine es ernst“, antworte ich, „der letzte Akt einer Liebe.“
„Dann danke ich dir recht schön“, betätschelt sie meinen unter der Lederjacke steckenden Oberarm, Verblüffung, aber auch Erleichterung im Gesicht.
„Aber ich kann doch nichts dafür, stimmt’s? Ich kann nichts dafür!“, drängt sie.
„Nein. Das war mein Risiko“, als ich mich in dich verliebte. Das spreche ich aber nicht aus.
Mein Gott, denke ich, und das alles nur, weil sie mich an einem Abend gerne „zufällig“ bei einer Ballettaufführung getroffen hätte, als „Überraschung“ gedacht, ich aber von einer anderen Frau dazu eingeladen wurde. Einer guten Freundin. Was sie wohl missverstanden hat, denn ich hatte sie während einer Pause gesehen. Auf der Damentoilette, als kurz die Tür aufging. Über dem Waschbecken, sich das Gesicht abkühlend. Sie musste fürchterlich geweint haben, denn als die Pause zu Ende war, ist sie nicht herausgekommen. Danach hatte sie mich nicht mehr an sich herangelassen, alle Gefühle für mich verdrängt. Ich konnte ihr noch nicht einmal erklären, wer meine Begleiterin war.
Als hätte sie meine Gedanken erraten, sagt sie: „Aber ich habe dich nie geliebt! Ich wollte immer nur eine Freundschaft mit dir, ich habe mich dir gegenüber immer so verhalten!“
Leises Kopfschütteln meinerseits.
Sie weicht vor mir zurück und ruft mit einer Lautstärke, als müssten es jeder der zu dieser späten Stunde wenigen verblieben Gäste im Lokal und alle Bedienungen hören: „Ich habe dir das neulich schon gesagt, und alle hier im Café haben das auch mitbekommen: Ich habe mich immer so verhalten, wie wenn ich nur eine Freundschaft zu dir wollte. Alle haben das mitbekommen!“
Das braucht sie jetzt, denke ich. Sie braucht für sich eine weiße Weste, ein reines Gewissen, um den Absprung zu schaffen und um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie dabei ist, einen riesigen Mist zu bauen.
Sie geht wieder an ihren Platz zurück.
Alle hatten auch mitbekommen, wie sie vor einigen Wochen total verliebt um mich herumscharwenzelt ist. Und wie ich sie mit knallroten Ohren und glänzenden Augen angehimmelt hatte.
Zu spät! Den Mist, den sie ins Rollen gebracht hat, kann sie jetzt nicht mehr aufhalten.
Ich auch nicht. Der letzte Akt einer Liebe.
Ich trinke den letzten Schluck Wein und beschließe zu zahlen. Sie blickt verstohlen zu mir herüber. Ich gehe zu ihr, streichele ihr kurz über die Schulter, sage: „Mach’s gut“ und wende mich dem Ausgang zu.
Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie sie sich erstarrt mit beiden Händen am Tresen festhält, Augen und Mund weit offen vor Entsetzen.
Mein Gott, was hast du denn erwartet, das ich tun soll, denke ich, und: Warum musstest du dir noch einmal die Haare hochstecken, wie du es immer nur für mich getan hast, mit einer Haarklammer, die ich dir kurz vorher geschenkt hatte und für die du dich noch nicht einmal bedankt hast?
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