Die letzte Telefonzelle
Kürzlich wurde sie abgebaut: die letzte Telefonzelle. Nicht irgendeine, sondern die letzte gelbe! Wobei ich bis dato gar nicht wusste, dass es eine solche überhaupt noch gab. Hier in meiner Nachbarschaft in Frankfurt am Main verschwanden vor Jahren schon deren Nachfolger, diese magenta-silbergrauen Telefonzellen der Telekom. An die letzte gelbe kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Obwohl ich solche oft benutzt hatte, weil ich erst spät einen Telefonanschluss beantragte. Was die allermeisten heutzutage überhaupt nicht mehr kennen, also weder Festnetz noch Telefonzellen. Früher aber gehörten diese gelben Telefonhäuschen zum Stadtbild.
Sie müssen sich das Telefonieren damals so vorstellen: Sie öffneten eine oft schwerfällige Tür, betraten das Innere der Telefonzelle, in der es meist nach kaltem Zigarettenrauch stank (ja, es durfte in ihnen noch geraucht werden, die älteren hatten sogar einen kleinen an der Wand befestigten Aschenbecher!), suchten entsprechende Münzen, nahmen der Hörer ab und warfen das Kleingeld in den Apparat. Sofern noch ein Hörer vorhanden war. Nach dem Wählen konnten Sie nun telefonieren. Sofern Ihr Kleingeld nicht durchfiel und aus der Restgeldausgabe wieder herauskam. Oder stecken blieb und gar nicht mehr herauskam. Oder die Leitung nicht gleich ganz tot war.Es gab sogar örtliche Telefonbücher in den Häuschen. Solche richtigen, gedruckten Bücher aus Papier, dicke Wälzer gar! Falls sie nicht geklaut oder angezündet worden waren. In ihnen konnten Sie nach einer bestimmten Nummer suchen. Sofern die entsprechende Seite nicht herausgerissen worden war. Und stundenlange Gespräche waren meist kaum möglich. Spätestens nach dem Eintreffen einer weiteren Person, die ebenfalls telefonieren wollte und ungeduldig an die Scheiben klopfte, war es Zeit abzubrechen.
Telefonieren damals in einer dieser alten Telefonhäuschen war ein Abenteuer. Und man konnte ein Abenteuer in ihnen erleben! Mein nachhaltigstes Erlebnis reicht zurück in meine Jugend. Während eines Urlaubs mit meinen Eltern hatte ich mich in ein Mädel aus Schleswig-Holstein verliebt. Nach einem kurzen Briefwechsel, der abrupt endete, beschloss ich, sie in Albersdorf zu besuchen. Ich quartierte mich im „Hotel Waldesruh“ ein und wagte es tatsächlich, bei ihr zu klingeln. Doch ihr Vater, ein Rechtsanwalt, wies mich ab. Er meinte, dass der Altersunterschied zu groß sei. Sibylle war erst 13 und ich immerhin fünf Jahre älter. Also machte ich mir eine schöne Zeit, bis der Tag meiner geplanten Abreise kam.
Um die Kosten einer Übernachtung zu sparen, entschied ich mich, schon am Tage vor meiner Abreise das Zimmer zu kündigen und die Nacht in der örtlichen Dorfdisco zu feiern. Die restlichen Stunden bis zur ersten Abfahrt eines Zuges am frühen Morgen würde ich mit genügend Alkohol in mir schon irgendwie herumkriegen. Doch die Diskothek schloss schon wesentlich früher als eingeplant. Aus wenigen Stunden wurde nun die halbe Nacht. Und es war bitterkalt in diesem Dezember 1972!
Nachdem ich feststellen musste, dass mir die örtliche Jugendherberge zu dieser nächtlichen Stunde nicht mehr öffnete, suchte ich eine Telefonzelle. Darin würde es wenigstens etwas wärmer sein. Falsch gedacht, mir kam es in dieser gelben Zelle bald kälter vor als draußen. Ich kam auf die Idee, die Telefonbücher anzuzünden, um mit ihnen ein wärmendes Feuerchen zu entfachen. Wieder falsch gedacht: Durch das Feuer breitete sich sofort ein beißender Qualm aus – sodass ich die Tür öffnen musste und die Kälte nun umso ungehinderter in die Zelle eindrang. Und das dünne Papier brennt auch nicht lange. An Schlaf war also nicht zu denken, so müde ich auch war.
Nun wurde die letzte Telefonzelle abgebaut. Die letzte gelbe vom Typ TelH78, wie Zellen dieses Typs bei der Deutschen Bundespost hießen. Sie stand in Bayern im Wallfahrtsort St. Bartholomä am südwestlichen Ufer des Königssees, wie die Telekom am 23. April meldete. Weil überall vor Ort der Denkmalschutz gilt, war sie in die Wand eines Bootshauses integriert worden. Bei weniger als 50 Euro Umsatz im Monat ist Schluss, so die Telekom. Dann lohnen die üblichen Wartungs- und Reparaturarbeiten nicht mehr. Aber die letzte Telefonzelle, also die gelbe, hatte wenigstens noch eine schöne letzte Reise: mit dem Schiff über den Königssee. Ein „Abschied mit Stil“!Es bleibt abzuwarten, bis die letzte Telefonzelle, heute meist in Form dieser schmalen Stelen, überhaupt verschwindet, denn auch ihre Zahl ist am Sinken. Falls Sie mit Telefonzellen bleibende Erinnerungen verbinden und mit und in ihnen besondere Erlebnisse hatten, bitte gern einen Kommentar hierunter. Danke!
(Siehe auch: t-online.de: „Wo sind all die Telefonzellen hin?“ und hier „Mobilfunknetz auf dem Mond geplant“)
Nachtrag vom 22. November 2022
Gestern endete eine Ära: Die Deutsche Telekom schaltet im ganzen Land alle Telefonzellen mit Münzeinwurf ab. Bis 2025 sollen alle verschwunden sein. Siehe hierzu aus den WDR-Kulturnachrichten „Eine kleine Kulturgeschichte der Telefonzelle“ vom gestrigen Tag (4 Minuten, 59 Sekunden, verfügbar bis zum 21. November 2023)!
Ja, irgendwie schade, ich mochte die gelben Telefonhäuschen auch. Es gab ja auch keine Möglichkeit, von außerhalb jemanden anzurufen in der Vor-Mobiltelefon-Zeit. Und diese Zeit war gar nicht schlecht. Man wurde im Bus von keinem blöden Geklingel erschreckt, musste sich kein Gequatsche grenzdebiler Einzelpersonen anhöre und, wurde nicht ständig auf der Straße von gehirnamputieren Smartphone-Benutzern fast angerempelt, weil die ja von ihrer Umgebung nix mehr mitkriegen.
Ich glaube, in meiner Stadt gibt es diese gelben Häuschen auch schon lange nicht mehr. Von den magenta-grauen dürften aber noch einige vorhanden sein. Muss ich mal wieder drauf achten. Telefonieren von so einer Zelle aus tue ich allerdings auch seit Jahren bis Jahrzehnten nicht mehr.
Vor einer Weile wollte ich tatsächlich mal wieder unterwegs telefonieren. Dringend sogar! Hatte nur leider weit und breit keine Telefonzelle mehr gefunden. Als Mobiltelefon-Nichtnutzer steht man dann dumm da.
Übrigens gibt es die gelben Telefonhäuschen zu kaufen; siehe den Verweis zum T-Online-Artikel „Wo sind all die Telefonzellen hin?“. Ab 350 Euro für Selbstabholer. Nur mal so, falls Interesse besteht …
„Mobiltelefon-Nichtnutzer“ Das gibt es wirklich noch ?
Ja. Bis heute. Mit allen Nachteilen, wie z. B., dass man sich bei bestimmten Diensten oft nur noch mittels eines solchen Apparates anmelden und sie nutzen kann. Auf diese verzichte ich aber dankend.
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