Redakteure
von Kurt Tucholsky
Der Redakteur ist ein fest angestellter Literat […] Journalist ist zu eng. Ich will den Redakteur nach zwei Seiten hin untersuchen: in seiner Stellung zum Verleger und in seiner Stellung zu den Mitarbeitern: zu den nicht fest angestellten Schriftstellern.
Die Standesvertretung der deutschen Redakteure hat es bisher nicht vermocht, ein würdiges Verhältnis des Redakteurs zum Verleger herzustellen, […] in guten Häusern sind die Umgangsformen zwischen den beiden Lagern angenehm und demokratisch, an der wirklichen Lage ändert das nichts. Der Verleger ist im allgemeinen tief davon durchdrungen, daß Redakteure nur Geld kosten, aber wenig einbringen; daß im Grunde er, der Verleger, die Sache viel besser verstehe, und daß man jeden Redakteur davonjagen und durch einen andern ersetzen könne. Beim Inseratenchef sieht das wesentlich anders aus.
Die Interessen der Verleger sind mannigfaltig; am Redakteur hat er nur eines: daß der ihm keine ›Unannehmlichkeiten‹ mache. Darunter sind nicht immer Geschäftsstörungen zu verstehen […] Abgesehen davon haben nur kleine Druckereibesitzer den Mut, ihren Redaktionsangestellten rund heraus zu sagen, sie möchten ihnen gefälligst durch eine gar zu scharfe Antialkohol-Propaganda nicht das Geschäft mit den Brauereien verderben. In den größern Zeitungsverlagen spielt sich dergleichen meist viel würdiger ab, meist, nicht immer. Da knöpft sich der Verleger oder einer seiner geschäftlichen Mitarbeiter den betreffenden Redakteur vor, und die Vokabeln heißen: »Tradition des Hauses . . . « – »Man kann eben nicht mit dem Kopf durch die Wand gehn« – »Hier, sehn Sie sich mal diesen Stoß Beschwerdebriefe an, so kann man das nicht . . . « und so fort. Die Verlogenheit sitzt hier sehr tief; der Unternehmer hat eben, wie das oft vorkommt, die Philosophie seines Geldes. Dem Redakteur wird zugemutet, die Philosophie eines Geldes zu haben, das er niemals verdient.
[…] Doch sind die meisten Redakteure nicht einmal in den kleinen Alltagsfragen frei. (Ganz frei ist nur der Kritiker in nichts als ästhetischen Dingen – da darf sich alles austoben, was sonst schwer gebändigt kuscht.) Der deutsche Zeitungsverleger ist ein ängstlicher Mann; er will Geld verdienen, was ihm kein Mensch übel nimmt, und er will nur Geld verdienen, was ihm sehr übel zu nehmen ist. […]
[…] Das geht ins Groteske. S. J. warf einst einem berliner Redakteur vor: »Aber bei euch genügen doch schon vier Beschwerdebriefe, und jeder von euch kann herausfliegen!« Der Redakteur erwiderte tiefernst: »Herr Jacobsohn, Sie irren sich. Es genügt schon einer.« Die Furchtsamkeit der Verleger geht ins Aschgraue. Irgend ein Interessenverband, dessen Syndikus sich etwas Bewegung machen will, eine Sparte des Annoncenteils, die infolge eines Zeitungs-Artikels leicht ins Wackeln gekommen ist, sind imstande, den ganzen Laden durcheinander zu bringen. Von »Das gibts bei mir nicht!« bis: »Hören Sie mal, man sollte da eigentlich . . . « spielt das in allen Tönen, und wenn der Redakteur solcherart zum Chef geht, geht er allemal nach Canossa. Nur findet aus rituellen Gründen keine Kirchenbuße statt.
Von den kleinen Generalanzeigern erwartet kein Mensch etwas andres. Deren Textteil ist nur Beilage zum Inseratenteil, und der Druckereibesitzer, der seine Annoncen sammelt, wünscht, nicht durch überflüssige Meinungsäußerungen irgend eines Schreibers in seinen Geschäften gestört zu werden. Daß aber größere Zeitungen ihre Macht überhaupt nicht anwenden, weil sie sich ihrer gar nicht bewußt sind, das ist eine Schande.
Die Verleger, meist kleine Leute, verkennen ihre Lage völlig. Woher sollten sie sie auch kennen? Zum Redakteur gehören ein Befähigungsnachweis, erbracht durch lange Lehrzeit, Allgemeinbildung oder sonst etwas, und immer wieder: Erfolg, Erfolg, Erfolg. Zum Verleger brauchte das alles nicht, da tut es schon Kauf oder Erbschaft oder sonst ein Rechtsvorgang, und Erfolglosigkeit ist ja in den Augen der Unternehmer stets die Folge ungünstiger Zeitumstände. (Gehts gut, so ist das auf ihre Tüchtigkeit zurückzuführen.) Da sitzt nun der Verleger auf seinem Stühlchen und hat: eine Zeitung, Größenwahn und Angst.
[…] Es ist nicht an dem, daß die Verlegerschaft, wie sie gebacken und gebraten ist, aus Trotteln, bestochenen Kumpanen und Hosenhändlern besteht, was die Beteiligten mit einem ›Sehr freundlich!‹ aufnehmen werden. Doch wird die Frage: »Warum übt jener die Autorität aus?« in Deutschland fast nie gestellt und in diesem Fall niemals ehrlich beantwortet. Denn die Antwort müßte in den meisten Fällen lauten: »Weil er der Besitzer ist. Weil er in das Unternehmen hineingeheiratet hat. Weil er es geerbt hat. Weil er es gekauft hat.« …
[…] Die meisten Zeitungsverleger haben sich da etwas zurechtgemacht, was sie ›Publikum‹ nennen – es ist ein recht verschwommener Begriff, für den das Maß aller Dinge ihre eigne Bildung abgibt. […]
Wem dienen die Zeitungen? Dem öffentlichen Interesse? Du lieber Gott! Das können sie nicht, weil sie nichts wagen. […] Einem Sturm trotzen? Seinen Standpunkt auch dann wahren, wenn jeder zehnte Abonnent abbestellt? Wenn der gefürchtete Boykott durch irgend einen gereizten Reichsverband Deutscher Feinkosthändler heraufbeschworen wird? Es gibt nur eine Sorte Menschen, die der Zeitungsverleger nicht fürchtet: das sind die geistigen Menschen. Die können protestieren, das macht nichts.
Weit entfernt davon, mir alles, was geschieht, durch die Presse zu erklären: was könnte die deutsche Presse durchsetzen, wenn sie nur wollte! Von großen Dingen keines; von mittlern und kleinen, die ja im Leben auch mitspielen, sehr viele.
[…] Die Folge ist ein linder Größenwahn des Redakteurs auf allen Gebieten, wo es ungefährlich ist.
Das Verhältnis des angestellten Schriftstellers zum nicht angestellten Schriftsteller ist ein einziger Skandal – das äußerste an Unkollegialität und an Schmierigkeit, an äußerstem Mangel von Solidarität, der nur denkbar ist. […]
[…] In unserm Beruf steht das Angebot in einem grotesken Gegensatz zur Nachfrage – zu schreiben vermeint jeder und jede zu können, und den Kram, der da verlangt wird, kann ja auch jeder Mensch herstellen. Das hebt die Stellung des Redakteurs; […] Und was er sich vor seinem Verleger niemals getraute, das wagt er dem Mitarbeiter gegenüber alle Tage: da trumpft er auf, da ist er der große Mann, dem zeigt er aber, was eine Harke ist. Leider zeigt er ihm nicht, was eine gute Zeitung ist.
[…] Wieviel Redakteure mag es in Deutschland geben, die von ihrem Verlag über die Höhe des Honoraretats maßgeblich gehört werden? […] Der Redakteur, der sich vor seinen Mitarbeitern so gern als kleiner Kaiser aufspielt, ist der allerletzte, der hier auch ein Quentchen hineinzureden hat. Die Honorare werden von der geschäftlichen Leitung festgesetzt, und damit basta. Ausnahmen zugegeben; die Regel ist so.
Die Folgen sind klar. An Zeitungen arbeiten so viel Außenseiter mit, daß ihr Niveau tiefer ist als es unbedingt notwendig wäre: Professoren; Damen der ersten besten Gesellschaft; Fachleute, die etwas wollen, und Interessenten, die etwas nicht wollen – manchmal auch Schriftsteller. […] und so ist aus unserm Beruf eine schlechtbezahlte Beschäftigung geworden.
[…] Das, was die meisten Redakteure zu sein vorgeben, sind sie gar nicht: unabhängige Inhaber von Machtpositionen. Das können sie nur einem unkundigen Außenseiter erzählen. Sie sind bis ins letzte Komma abhängig wie die Landarbeiter, und die Stellung, die sie innehaben, nutzen sie niemals aus, weil sie das nicht dürfen, wie ja nicht einmal ihre Verlage die ihre ausnutzen, es sei denn in den allerbescheidensten Grenzen kleiner oder hier und da größerer Geschäftemacherei (Subventionen).
[…] Beide, Verleger und Redakteure, unterschätzen ihre Positionen. Sie überschätzen sie zu gleicher Zeit auf einem Gebiet, wo ihre Machtlosigkeit zum Himmel schreit: nämlich auf dem Gebiet der großen Politik. Außenpolitisch ist das nur komisch. Mir sagte einmal ein ehemaliger Redakteur der ›Frankfurter Zeitung‹: »Als wir jung waren, haben wir immer geglaubt, die Weltpolitik werde in der Großen Eschenheimer Straße gemacht.« […] Innenpolitisch […] ist ja die Entwicklung der letzten Jahre gegen die Leitartikel der größten Zeitungen, und nicht nur der sogenannten demokratischen, vor sich gegangen. Sie können schreiben, was sie wollen, und die Politiker tun, was sie wollen.
Die Klugen unter den Redakteuren wissen zwar genau, was los ist; doch beherrscht die Redaktionen jener Spruch, den sich die Herren auf goldene Teller malen lassen sollten: »Das kann man natürlich nicht schreiben!« Aber warum, warum können sie es nicht schreiben?
Weil sie keine Macht haben. Weil ihre allzu willfährigen Organisationen […] von den Unternehmern rechtens niemals so beachtet werden wie etwa in frühem Zeiten die Gewerkschaften der Buchdrucker, und weil der Redakteur von seinem Eitelkeitswahn unheilbar besessen ist. Der Verleger zahlt ihn schlecht; so macht er sich durch das bezahlt, was er selber von sich hält. Und er hält sehr viel von sich.
[…] so gut wie nie liest man in ihren Fachblättern von diesen delikaten Dingen – keiner rührt das heiße Eisen auch nur an. Auf ihren Kongressen geht es gar hoch her: da wird gesprochen von der Pflicht der Kulturbildung und der Wichtigkeit der Presse – aber von der kläglichen Rolle, die der Redakteur vor dem Verleger spielt, ist nicht die Rede. Mit gutem Grund.
Ich habe nichts zu enthüllen – ich weiß von keinen Skandalgeschichten. Mich interessieren die einzelnen Verleger nicht, und ich kann hier keinen ›Sumpf‹ aufzeigen. Doch erschien es mir richtig, einmal zu sagen, welche bejammernswerte Position der Redakteur dem Verleger gegenüber einnimmt, und wie er sich aus dieser Lage herauslügt: durch Überkompensation seiner selbstverschuldeten Defekte und durch eine trübe Wichtigmacherei sich und seinen Mitarbeitern gegenüber.
(Kurt Tucholsky: Die Weltbühne, 31. Mai 1932, Nr. 22, Seite 813, und 7. Juni 1932, Nr. 23, Seite 856/Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, Seiten 83 bis 90, zitiert nach Zeno.org. Siehe hier auch „Der Sucher“!)
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