African Whisky
oder Eine afrikanische Nacht
Unsere Zeit in Afrika neigte sich dem Ende entgegen. Wir hatten unsere drei Autos, mit denen wir von Deutschland über Tunesien, Algerien, Niger und dem damaligen Obervolta die Sahara und die Sahelzone durchquert und nach Lomé, der Hauptstadt Togos, gelangt waren, verkauft und trennten uns von Dingen der Reise, die wir nicht mit in den Flieger zurück nehmen konnten und wollten. Wir hatten zufriedenstellende Preise für die Autos, die die Fahrt sehr gut überstanden hatten, herausgefeilscht, obwohl die potenziellen Käufer wussten, dass unser Aufenthalt begrenzt sein würde, während sie alle Zeit der Welt hatten. So bestanden die letzten Tage aus Müßiggang mit Besuchen am Strand, der sich gegenüber unseres einfachen Hotels erstreckte, von diesem nur durch die Uferstraße getrennt, aus Essenseinkäufen (das Hotel bot nur Frühstück und kleinere Speisen an, erlaubte aber die Möglichkeit, auf der Veranda eigenes Essen zuzubereiten) oder gleich Essengehen mit dem Bummeln durch Lomé. Und aus den abendlichen Besuchen einer Diskothek, in der wir den guten Ausgang unserer Reise feierten.
Auf der Veranda unseres Hotels lungerte häufig ein groß gewachsener Westafrikaner herum, der von den Angestellten an der Rezeption mehrmals des Hotelgeländes verwiesen wurde. Auch meine Reisegefährten waren ihm gegenüber misstrauisch; offenbar verdächtigten ihn alle als möglichen Dieb, der einen Moment der Unachtsamkeit ausnutzen würde, um mit irgendetwas, was ihm gerade in die Hände fiel, zu verschwinden. Ich fand ihn nicht unsympathisch, zumal er außer dem in Togo üblichen Französisch auch englisch sprach, womit ich mich leichter tat. Vorher gerieten Gespräche mit einheimischen Bekanntschaften mehr oder weniger schnell an ihre Grenzen, da ich meine früher guten Französischkenntnisse inzwischen während des Sprechens mühsam auffrischen musste. Eben diesem Afrikaner vertraute ich einige Sachen an mit der Bitte, sie auf dem örtlichen Markt oder sonstwo zu verkaufen, wonach er die Hälfte des Erlöses behalten könne. Wenigstens hier hatte er mich zunächst nicht enttäuscht, und die Hotelangestellten ließen ihn in Ruhe, nachdem sie bemerkt hatten, dass er zumindest bei mir nicht unerwünscht war. Meine Reisegefährten beäugten ihn hingegen weiterhin mit Misstrauen, wollten nichts mit ihm zu tun haben und rieten mir weiterhin vom Umgang mit ihm ab.
Eines Nachts ging ich ohne meine Gefährten zu dieser wunderschönen Diskothek, die sich zu großen Teilen unter freiem Himmel befand. Sie lag mehrere Kilometer von unserem Hotel entfernt und direkt an der Grenze zu Ghana. In der Gruppe nahmen wir uns immer ein Taxi, da man aber nur die Uferstraße entlangzugehen brauchte, was einen schönen Spaziergang immer am Strand entlang bedeutete, in etwa einer guten halben bis dreiviertel Stunde zu schaffen, machte mir dieser Weg nichts aus.
Es gab dort immer wieder Razzien, vor allem schien nach ghanaischen Prostituierten gesucht zu werden. Kaum kündigte sich eine solche an, schon sah man mehrere Frauen hinüber zur Grenze rennen. In Togo hätte ihnen Verhaftung gedroht, in Ghana wurde Prostitution nach der kurz zuvor erfolgten Machtergreifung von Jerry Rawlings verboten. Auch an diesem Abend hatten sich einige von ihnen hintereinander zu mir gesetzt, um auf verschiedenste Weise, mal dreist, mal schüchtern, ihr Glück zu versuchen, als plötzlich dieser Afrikaner aus unserem Hotel auftauchte, den ich dort zuvor noch nie gesehen hatte. Vermutlich, weil er sich den Eintritt nicht leisten konnte, obwohl das Lokal von den Preisen her keineswegs nur auf Touristen ausgelegt war. Auch sonst waren Einheimische eindeutig in der Mehrzahl, allerdings sahen viele nicht gerade arm aus.
Wir begrüßten uns, ich bestellte ihm ein Bier und fragte nach seinen „Geschäften“. Da es schon sehr spät war und das Lokal bald geschlossen werden würde, fragte er mich nach einer Weile, ob ich noch Lust dazu hätte, einen very good African whisky zu probieren, den ein Freund von ihm, der nicht weit von dieser Diskothek entfernt wohnte, selbst herstellte.
Ich weiß nicht mehr, was mich bewogen hatte, ihm auch hier und somit ohne die Gegenwart meiner Reisegefährten zu vertrauen. Normalerweise wird Touristen davon abgeraten, mit irgendwelchen wenig vertrauenerweckenden Leuten mitzugehen, weil man ausgeraubt und Schlimmeres werden könnte. So aber befanden wir uns bald auf dem Weg durch immer engere und dunklere Gassen eines Teils von Lomé, in dem ich bisher noch nicht gewesen war. Schließlich beleuchtete nur noch das Licht des klaren Sternenhimmels die Szenerie, die nicht mehr als Schemen von niedrigen Gebäuden erkennen ließ. Nirgendwo eine Beleuchtung oder ein Licht, das aus einem Fenster fiel, oder gar eine Straßenlaterne. Eine afrikanische Nacht!
Nach einer ganzen Weile des Weges, währenddem ich mehrmals beinahe stolperte, klopfte er schließlich an eine niedrige Holztür und rief einige gedämpfte Worte, die ich nicht verstehen konnte. Kurz darauf waren von drinnen schlurfende Schritte zu hören, die Türe wurde knarrend einen Spaltbreit geöffnet. Nach einem kurzen Wortwechsel wurden wir eingelassen. Immer noch konnte ich nur Schemen erkennen, aber ich bemerkte, dass wir uns in einem Innenhof befanden, der von flachen Gebäuden umrandet zu sein schien, und dass meine Füße mehrmals an etwas Weiches stießen, während wir anscheinend den Hof überquerten. Der Hausherr zündete eine Kerze an, die auf einem Fass stand, und ich konnte ihn, einen wohl schon sehr alten Mann mit weißen Haaren und Bartstoppeln, erkennen, der kurz darauf verschwand und mit einer durchsichtigen Glasflasche mit klarem Inhalt und mit mehreren Schnapsgläsern wiederkam. Er füllte die Gläser, wir stießen an und tranken. Starkes Zeug, dieser African whisky! Man fragte mich nach meiner Meinung zu dem Getränk, ich konnte es nur loben. Es wurde nachgeschenkt, die beiden unterhielten sich leise, während ich langsam müde wurde. Die Biere vorher und nun der African whisky hatten es in sich!
Plötzlich klatschte der Hausherr mehrmals laut in seine Hände! Am Boden des Hofs bewegte sich etwas und es erhoben sich langsam mehrere Menschen. Gegen die bin ich wohl getreten, als wir den Hof überquerten, fiel mir ein, und dass Menschen in der Hitze der afrikanischen Nacht oft draußen schlafen.
Es erschienen, aufgereiht wie Orgelpfeifen, fünf Mädchen, etwa zwischen neun und höchstens siebzehn Jahre alt und eine schöner als die andere, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte, denn die eine Kerze war viel zu schwach, um die ganze Szenerie zu beleuchten. Sie schauten mich an, der Hausherr sagte etwas zu mir, was ich nicht verstand. Aber ich begriff, dass ich mir eine oder mehrere von ihnen aussuchen sollte …
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Hübsche Geschichte! Wie ist sie ausgegangen?
Nun, geheiratet hatte ich nicht, und auch sonst wäre mir ein Verhältnis mit Minderjährigen nicht in den Sinn gekommen (so nüchtern war ich noch, trotz des wirklich guten African whisky, der es wirklich in sich hatte!), auch wenn dies die Landesbräuche zugelassen hätten.
Danke für das Interesse am Fortgang und den Kommentar!