Bei Mentz
Ein später Nachruf auf eine unvergessene Kneipe
Gerade liest Frankfurt wieder mal ein Buch. In diesem Jahr handelt es sich um „Die Vollidioten“ von Eckhard Henscheid. Das Vorbild für die Kneipe, in der und um die dieses Buch spielt, stand damals um die Ecke des Wohnorts des Autors dieser Notiz, und dieser war Stammgast dort: „Bei Mentz“, wie die Lokalität hieß. Eine Gelegenheit, sich hier einmal daran zu erinnern!
Das Buch, das Vorbild und die Wirte
„Frankfurt liest ein Buch“, und das ist in diesem Jahr „Die Vollidioten“ mit dem Untertitel „Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972“ von Eckhard Henscheid, das ich vor vielen Jahren natürlich auch gelesen hatte. Das Lokal, in der und um die herum dieses Buch spielt, heißt „Krenz“ bzw. „Krentz“. Das Vorbild dafür war die „Berliner Zille-Stube Bei Mentz“, benannt nach den beiden aus Berlin stammenden Wirten, Vater und Sohn Mentz. Sie befand sich damals hier um die Ecke im unteren Bornwiesenweg zwischen der Sackgasse Leimenrode und dem Oeder Weg, alles im südwestlichen Frankfurter Nordend gelegen.
Ich war von etwa 1974/1975 bis zur Schließung 1977, also erst eine Weile nach der Zeit, in der dieser 1973 erstmals erschienene Klassiker der humoristischen Literatur spielt, Stammgast dort. Ein kleiner Rundgang gefällig?
Die Räumlichkeiten
Vom Eingang aus rechts befand sich der lange Tresen in dem länglichen Schankraum, dahinter und links gegenüber der Theke standen blanke, teilweise lange Tische, ebenso im kleineren Nebenraum links vom Eingang, die es den Gästen sehr erleichterten, miteinander ins Gespräch zu kommen, besonders, wenn es voll war. Und das war es an fast jedem Abend! Auf den Tischen befanden sich weder Blumengestecke noch Salz- und Pfefferstreuer, sondern nur Aschenbecher, was die Ablage der Getränke und das Trink- und Rauchvergnügen sehr vereinfachte.
Irgendwo, entweder ganz hinten oder zentral zwischen Haupt- und Nebenraum, so genau weiß ich das nicht mehr, stand ein großer grüner Kachelofen, der sogar funktionierte. An den vergilbten Wänden hingen große und gelbliche Reproduktionen von „Milljöh“-Zeichnungen des Berliner Grafikers, Malers und Schriftstellers Heinrich Zille, von denen ich nie wusste, ob sie nach Sepia-Art angefertigt oder vom Zigarettenrauch vergilbt waren. Wahrscheinlich beides. Ja, es durfte damals noch überall geraucht werden, und dieser Tätigkeit wurde in diesem Lokal ausgiebigst gefrönt, wovon auch die Wände zeugten!
Die Gäste und der Kellner
Bei Mentz verkehrte wirklich alles: vom gemeinen Nordendbürger, der damals noch eher dem proletarischen Milieu und der unteren Mittelschicht zuzuordnen war als der typischen Nordendschickeria von heute, über Schauspieler vom nahe gelegenen Theater am Turm TAT (im alten Volksbildungsheim, erinnert sich jemand?) bis zu Mitarbeitern des auch nicht so weit entfernten Hessischen Rundfunks, dazu natürlich Studenten und Künstler aller Art. Rainer Werner Fassbinder war 1974/1975 zwar schon Intendant des TAT, aber ihn habe ich nie im Mentz gesehen – dafür aber öfter beim Einkaufen in einem nahe gelegenen Supermarkt, dem „Beamten-Einkauf“, in dem man zu dieser Zeit schon einkaufen konnte, ohne verbeamtet zu sein.
Der Kellner Erwin, im unten genannten Video ab Sekunde 46 ganz links auf einer Fotografie zu sehen, wohnte mit mir im selben Haus um die Ecke. Wenn ich mal kein oder nicht genügend Geld hatte, um die Zeche begleichen zu können, brauchte ich ihm nur zu sagen, dass ich ihm die Summe am nächsten Tag in den Briefkasten werfen würde, worauf er mir die offenen Rechnungsbeträge aus eigener Kasse vorschoss. Die Rückzahlungen erfolgten regelmäßig wie verabredet, was meine Kreditwürdigkeit erhöhte.
Zu meinen interessantesten Bekanntschaften dort gehörten übrigens zwei junge Studentinnen aus Finnland, zu denen ich mich eines späten Abends an den Tisch gesellte und denen ich die Erkenntnis verdanke, dass sich das Finnische keineswegs so anhört, wie es geschrieben aussieht.
Speisen und Getränke
Getrunken wurde meist das Bier einer der damals noch mehreren Frankfurter Brauereien. Es gab nur vielleicht zwei oder drei Weine, natürlich auch Apfelwein, aber auch den Kirschlikör Persiko, ein Getränk, das ab einer gewissen (Über)dosierung imstande war, am nächsten Morgen heftigste Kopfschmerzen zu verursachen.
Zu essen gab es Soleier aus einem großen Glas, das auf dem Tresen stand, und Buletten, die natürlich auch wirklich „Buletten“ hießen und nicht etwa „Frikadellen“, beide jeweils mit Senf serviert. Eine Küche gab es zwar und auch eine Köchin in Person der Frau des älteren Mentz, ich kann mich aber kaum mehr an irgendwelche Speisen erinnern, die dort zubereitet wurden. Wahrscheinlich heiße Würste, Gulaschsuppe und vielleicht auch mal ein Schnitzel.
Das Ende
Zu jener Zeit wollte die CDU im Sinne der von ihr geplanten autogerechten Stadt den ganzen Oeder Weg verbreitern, um ihn in eine neue Ein- und Ausfallstraße zu verwandeln, wobei neben mehreren anderen auch das Haus dieser Kneipe abgerissen worden wäre und wogegen eine Bürgerinitiative Unterschriften sammelte. Die Wirte versicherten damals, dass sie ihr Haus um keinen Preis der Welt verkaufen würden.
Warum dieses Lokal Ende 1977 plötzlich doch geschlossen und später auch dieses Haus abgerissen wurde, hat sich mir nie erschlossen [Nachtrag vom 9. April nach dem Besuch der unten genannten Ausstellung zu „Frankfurt liest ein Buch“: Nach einem dort veröffentlichten, leider undatierten Artikel von Elsemarie Maletzke in der Frankfurter Rundschau und einem ebenso undatierten Kommentar aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung existierte ein alter Bebauungsplan für dieses und das Nachbargrundstück. Er sah zwar in dem geplanten Neubau auch eine Gaststätte vor, die Miete hätte jedoch der nach dem Tod seines Vaters verbliebene Sohn Mentz nicht zahlen können. Ein frühes Beispiel für Gentrifizierung also, auch wenn das Wort damals noch weitgehend unbekannt war!].
Bilder
Auf den Archivseiten von „Frankfurt liest ein Buch“ gibt es eine alte Fotografie des Gasthauses „Bei Mentz“ von 1977; das sehenswerte, außen dunkelgrün gekachelte, auf einem dreieckigen Grundriss gebaute Nebenhaus ist darauf bereits abgerissen worden. Ich muss leider der Möglichkeit entsagen, das Bild, dessen Rechte das Frankfurter Institut für Stadtgeschichte innehat, hier einzubauen, da mich die Lizenz dazu dutzende von Euros gekostet hätte. [Nachtrag vom 29. Dezember 2017: Das Bild ist inzwischen von dort entfernt worden, nur eine Ansicht auf dem Bucheinband ist noch vorhanden.] Mir ist allerdings auch eine dort nicht gezeigte, ältere Fotografie bekannt, auf der das Lokal noch „Gaststätte Krenz“ heißt.
Ausstellung und ein Video
Im Rahmen dieser „Literaturtage“ findet auch eine Ausstellung statt, zu der das Video „Bei Mentz: Am Tresen der Vollidioten“ veröffentlicht wurde, in dem sich u. a. Sohn Hans-Joachim Mentz, Autor Henscheid und Elsemarie Maletzke, das Fräulein Czernatzke des Romans, dieser Lokalität erinnern:
Ein persönliches Fazit
Seit meiner Entdeckung dieser Kneipe hatte ich „Bei Mentz“ herrliche Abende und Nächte in einer für mich wichtigen Spanne meiner späten Jugend-, frühen Erwachsenenjahre verbracht, nachdem ich 1974 als damals noch nicht Volljähriger mit 20 aus dem elterlichen Zuhause ausgezogen war. Ein solches Lokal, wie es, von der Durchmischung des Publikums her, wohl nur von Berlinern geführt werden kann, gab es hier nie wieder und ist wohl auch nur in Berlin vorstellbar!
Schöner Artikel. Ich bin im Bornwiesenweg aufgewachsen. Meine Eltern sind aber erst 1979 dorthingezogen, so dass die Zeiten von Mentz damals schon vorbei waren. Ich kann mich aber noch an das Gebäude erinnern und auch an den Abriss Anfang der 80er Jahre, den ich vor der Metzgerei Goll auf der anderen Straßenseite beobachtet habe.
Die Metzgerei Goll! Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass dort an der Ecke Oeder/Mittelweg, wo sich jetzt so ein Feinkostladen befindet, eine ordinäre Metzgerei war, nur den Namen hatte ich vergessen. Ich erinnere mich auch noch daran, wie ich mich beim Metzger mal über den für meinen Geschmack zu hohen Mayonnaise-Anteil in seinem Fleischsalat beschwerte, worauf er richtig wütend wurde: Der Anteil entspräche genau den gesetzlichen Vorgaben! Eines der vielen Geschäfte, die aus dem Oeder Weg und übrigens auch aus dem Bornwiesenweg für immer verschwunden sind …
Den Abriss des Hauses von „Mentz“ selbst hatte ich nicht mitbekommen; ich weiß nur noch, dass das Haus sehr lange leer stand. Der Wirt eines Lokals am Anfang des Mittelwegs fast gegenüber versuchte nach der Schließung, das Publikum von „Mentz“ in sein Lokal zu ziehen, was aber nur teilweise gelang. Man kann eine solche Kneipe wie das „Mentz“ einfach nicht ersetzen!
Danke für das Lob und den Kommentar!
PS: Übrigens auch „Die Vollidioten“ gelesen?
Es gab leider im Oeder Weg und angrenzenden Straßen einen wahren Aderlass an alteingesessenen Geschäften, die stattdessen Maklerbüros und Edelboutiquen weichen mussten. Eine traurige Entwicklung, die aber in ganz Frankfurt zu bemerken ist. Kein Vergleich zu den 70er und 80er Jahren.
„Die Vollidioten“ sind zwar auf meiner Leseliste, aber ich habe das Buch noch nicht gelesen. Ich habe zwar Bücher von Genazino und Henscheid gelesen, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass der Roman eine ganz bestimmte Szene von vor 50 Jahren darstellt, die Nichteingeweihte nicht nachempfinden können. Aber vielleicht täusche ich mich.
Nun ja, viele Romane sind zeitlos und „für die Ewigkeit“, aber das lässt sich von den „Vollidioten“ nicht behaupten. Von daher täuscht Ihr Gefühl nicht unbedingt. Amüsant ist das (übrigens relativ kurze) Werk trotzdem.
Ja, der Aderlass! Manche Entwicklung war allerdings durchaus positiv. Hier in der Fichardstraße gab es z. B. einmal das „Fichardeck“, eine Kneipe, in der sich ein ziemlich spießbürgerliches, um nicht zu sagen: politisch ziemlich rechtes, Publikum versammelte. Die NPD-Wählerschaft, die es, wie übrigens auch heute die der AfD, auch im Nordend gab (wenngleich nur zu einem sehr geringen Prozentsatz), dürfte sich dort getroffen haben. Um diesen „Verlust“ ist es nicht allzu schade.
An diese Eckkneipe erinnere ich mich auch noch. Da ist heute das Thai-Massage-Studio drin.
Ich war nie drin. Für mich war es so ein typische deutsche Kneipe. Wusste gar nicht, dass das ein NPD-Treff war. Ist ja für das damals eher liberale Nordend eigentlich ungewöhnlich. Wissen Sie da mehr?
Genau, aber das war kein offizieller NPD-Treff, sondern von der Einstellung der Gästeschaft dort (einer wohnte mit seiner Frau hier im Haus, ein übles Paar, mit denen ich sowohl körperliche als auch juristische Auseinandersetzungen hatte, einige andere habe ich auf unangenehme Weise kennenlernen müssen) vermutete ich, dass sie zur Wählerschaft dieser Partei gehörten. Der Wirt war schwul, wurde aber seltsamerweise von denen toleriert.
Ich war einige Male zum Zigarettenholen drinnen und habe auch ein- oder zweimal etwas gegessen oder getrunken, bevor ich allerdings von dieser Einstellung ahnte. Manchmal schallte spät abends die gesungene erste Strophe des Deutschlandlieds heraus. Und ja, es gab Wähler/-innen von denen auch im Nordend, genauso wie es heutzutage hier auch solche der AfD gibt. Die „Frankfurter Rundschau“ listet die Ergebnisse von Kommunal- und Landtagswahlen bis in die Wahlbezirke hinein auf; ich schaue mir sie immer sehr genau an. Es handelt(e) sich aber jeweils nur um ein paar Handvoll Leute; das Nordend ist daher auch heute noch eher liberal.