Achtung, Schweinestau!
Wieder ein neues Wort gelernt: Schweinestau. Nein, es handelt sich hierbei nicht um Schweine, die irgendwo im Stau stehen, beispielsweise vor dem Futtertrog. Es handelt sich um Schweine, die auf ihre Schlachtung warten. Laut Lobbyverbänden der Landwirtschaft sollen bis Weihnachten eine Million Schweine im „Schweinestau“ stecken!
Wenn ein Begriff zum Ausdruck zu bringen imstande ist, was in der Fleischindustrie falsch läuft, dann die zynische Wortschöpfung „Schweinestau“. Zwei folgenschwere Ereignisse, die Corona-Pandemie und die Afrikanische Schweinepest, bringen zurzeit ein gnadenlos durchrationalisiertes System ins Wanken. Ein System, das im Normalfall darauf ausgelegt ist, allein in Deutschland Jahr für Jahr mehr als 50 Millionen Schweine zu schlachten und in Schinken, Koteletts und Rippchen zu zerteilen und zu Wurst zu verarbeiten.
Doch weil jetzt große Schlachthöfe nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten, herrscht Not: Mastbetriebe wissen nicht, wohin mit ihren schlacht„reifen“ Schweinen, und Schweinezüchter nicht, wohin mit ihren Ferkeln. In vielen Ställen drängen sich deshalb viel zu viele und viel zu groß gewordene Tiere auf ohnehin viel zu engem Raum. Und neue Ferkelwürfe stehen bevor! Weil Abnehmer fehlen und die Preise im Keller sind, kämpfen Bauern um ihre Existenz. (Rund um den Globus haben außerdem wichtige Absatzländer wie China wegen der Schweinepest den Import von deutschem Schweinefleisch gestoppt.) Ein Drama für Mensch und Tier!
Ausgerechnet Riesen-Schlachtfabriken wie Tönnies und Konsorten werden jetzt als Lösung für das Problem des Schweinestaus verkauft. Tönnies! Jener milliardenschwere Fleischkonzern, der wie kaum ein zweiter in der Kritik steht, jede Gesetzeslücke auszunutzen, um Massenware auf Basis von fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu Billigst-Preisen in den Markt zu drücken! Allen Klagen über Ausbeutung von Menschen und miserable Tierhaltungsstandards zum Trotz: Als der Konzern seinen größten Schlachthof aufgrund von Corona-Fällen vorübergehend schließen musste, sah ein nordrheinisch-westfälischer Staatssekretär absurderweise ausgerechnet den Tierschutz in Gefahr, wenn Tönnies seine Tore nicht schnell wieder öffnen könne. Fehlte nur noch der Zusatz: um die ungeduldig auf ihre Schlachtung wartenden Schweine hineinzulassen.
Wenn Tierschutz von Fließbandschlachtungen von Tönnies und Konsorten abhängen soll, dann läuft etwas gewaltig schief in der Land- und Fleischwirtschaft. Und auch mit dem Fleischkonsum von uns Schweinedeutschen!
(Quelle: foodwatch – die Essensretter; siehe hier auch den Animal Kill Counter und den Kurztext „Ein Schwein zerlegen“!)
Der Fleischkonsum bei uns in Deutschland soll wohl rückläufig sein, und man sieht an den vegetarischen und veganen Alternativen in den Regalen der Supermärkte und Discounter, dass da was dran sein muss – blöderweise steigt aber der Konsum in anderen Ländern wie z. B. China umso mehr. Weltweit wird also immer mehr Fleisch gegessen, was für die Umwelt nicht gerade gut ist und selbstredend ein unglaubliches, unermessliches Tierleid verursacht.
Wenn die deutschen Riesenmastbetriebe und Megaschlachthöfe jetzt mal Umsatzeinbußen haben, so ist das etwas, das mir am allerwenigsten Leid tut. Aber wahrscheinlich schreien die bald nach staatlichen Hilfen. Und gerade „Schweine“unternehmen werden ja von unseren Ministerien am allerliebsten gefördert und subventioniert.
Dabei hat die Fleischwirtschaft schon 2015 in einer Selbstverpflichtung beschlossen, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen: „Fleischwirtschaft beschließt Selbstverpflichtung für bessere Arbeitsbedingungen“, Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Und der Ruf nach staatlichen Hilfen dürfte bald erschallen: fleischwirtschaft.de: „Corona-Krise: ISN fordert Hilfen“, wobei der ISN die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands ist.
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Ja, die Selbstverpflichtungen – das sind ja nur vage und oft leere Versprechungen, wie man in der Vergangenheit immer wieder feststellen konnte, aber eben ganz und gar keine Verpflichtungen, leider – die nämlich könnten nur staatlich installiert werden. Doch bei dem gewaltigen Einfluss der Lobbyisten ist das ja so eine Sache mit der staatlichen Kontrolle der Auswüchse der Wirtschaft. Um Himmels Willen, die Wirtschaft darf doch nicht gegängelt werden! Wunderbare Welt des Neoliberalismus, sag ich da nur.