Unter dayne vayse shtern (Unter deinen weißen Sternen)
.Von Avrom Sutskever (Abraham Sutzkever)
Unter dayne vayse shtern [Unter deinen weißen Sternen]
shtrek tsu mir dayn vayse hant. [streck mir zu deine weiße Hand.]
Mayne verter zaynen trern, [Meine Wörter die sind Tränen,]
viln ruen in dayn hant. [wollen ruh’n in deiner Hand.]
Ze, es tunklt zeyer finkl [Sieh, es dunkelt ihr Gefunkel]
in mayn kelerdikn blik, [in meinem kellerdicken Blick,]
un ikh hob gornit keyn vinkl [und ich hab’ gar keinen Winkel]
zey tsu shenken dir tsurik. [sie zu schenken dir zurück.]Un ikh vil dokh, got, getrayer, [Und ich will doch, Gott, Getreuer,]
dir fartroyen mayn farmeg, [dir vertrauen, was ich habe,]
vayl es mont in mir a fayer [denn es brennt in mir ein Feuer]
un in fayer mayne teg. [und im Feuer meine Tage.]
Nor in keler un in lekher [Nur in Kellern und in Löchern]
veynt di merderishe ru. [weint die mörderische Ruh’.]
Loyf ikh hekher – iber dekher [Lauf ich höher, über Dächer]
un ikh zukh: vu bistu, vu? [und ich suche: Wo bist du, wo?]Nemen yogn mikh meshune [Jagen mich seltsame Gestalten}
trep un hoyfn mit gevoy. [Treppen und Höfe mit Geheul.]
Heng ikh a geplatste strune [Hänge ich eine gerissene Saite]
un ikh zing tsu dir azoy: [und ich sing’ zu dir jetzt so:]
Unter dayne vayse shtern [Unter deinen weißen Sternen]
shtrek tsu mir dayn vayse hant.
Mayne verter zaynen trern
viln ruen in dayn hant.
Avrom Sutskever, auch Abraham Sutzkever, geboren 1913 im Gouvernement Wilna im damaligen Russischen Kaiserreich (heute Belarus), überlebte das Wilnaer Ghetto (Ghetto Vilnius, auch Ghetto Wilna). Dort rettete er jiddische Handschriften und Literatur vor der Vernichtung durch die Nazis. Sein Gedicht „Unter dayne vayse shtern“ (Unter deinen weißen Sternen) entstand dort 1943. Mit der Melodie von Avrom (Abraham) Brudno und der Stimme von Zlate Katcherginsky erklang es zum ersten Mal in einem Ghetto-Theater. Es richtet sich an Gott und stellt eine verzweifelte Suche nach ihm dar.
Das Ghetto, das nur wenige der 80.000 dort zusammengepferchten Menschen überlebten, errichteten die Nazis 1941, schon eine Woche nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Doch bereits vorher kam es zu einer Zunahme von antisemitischen Handlungen vonseiten der litauischen Bevölkerung.
Leben um Ghetto
Abraham Sutzkevers neugeborener Sohn und seine Mutter wurden dort von den Nazis ermordet. Er selbst beteiligte sich an der 1942 gegründeten Fareinikte Partisaner Organisatzije. Gemeinsam mit einer Ghettobrigade gelang es ihm, viele seltene Handschriften und Bücher vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Diese Dokumente konnten nach dem Krieg nach New York gebracht werden. Sie bilden dort jetzt die „Sutzkever-Kaczerginski Collection“ im New Yorker YIVO-Institut.
Späteres Leben
Zusammen mit seiner Frau gelang ihm die Flucht aus dem Ghetto nach Moskau. Am 27. Februar 1946 sagte er bei den Nürnberger Prozessen gegen den Mörder seiner Mutter und seines Sohnes, Franz Murer, aus. Dessen Freispruch löste in Österreich später einen Skandal aus. Über Polen reisten sie schließlich in das damalige Völkerbundsmandat für Palästina (heute Israel) aus, wo er sich für Literatur und Essayistik in jiddischer Sprache engagierte. Sutzkever starb 2010 in Tel Aviv. Er hinterließ zahlreiche Werke, die zum Teil auch in deutscher Übersetzung vorliegen.
Das Gedicht und weitere Werke
Siehe zum Gedicht „Unter deinen weißen Sternen“ Avrom Sutskever in der Bibliotheca Augustana, wo es in jiddischer Sprache veröffentlicht ist. Von diesem Gedicht existieren auch zahlreiche Vertonungen. So etwa eine von Esther Ofarim in der Übersetzung von Thomas Woitkewitsch, gesungen im Drama „Ghetto“ von Joshua Sobol unter der Regie von Peter Zadek an der Freien Volksbühne Berlin 1984.
Möge das Gedicht „Unter dayne vayse shtern“ (Unter deinen weißen Sternen) uns nicht nur am heutigen Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (seit 2006) bzw. am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (in Deutschland seit 1996) daran erinnern. Mögen wir nie wieder eine solche Barbarei wie den Nationalsozialismus zulassen. Und „nie Wieder“ ist jetzt! #WeRemember.
(Siehe hier etwa auch das jiddische Gedicht „Arbetlose-Marsch (der Arbeitslosenmarsch)“.)
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