Guerilla-Marketing
Kluge Agentur-Philosophien sind die Rechtfertigung für dumme Kampagnen.
(„100 Ratschläge für Kreative“ auf Texter.de – Verzeichnis für Texter & Autoren, Nr. 3. Da die Seite nicht mehr existiert, hier im Internet Archive.)
Vor Kurzem stolperte der Autor zum ersten Mal über den Begriff Guerilla-Marketing. Dabei dachte er zunächst an so etwas wie revolutionäre Werbung aus dem Untergrund. Aber ganz so schlimm ist es nicht! Oder etwa doch?
Guerilla-Marketing? Ganz so schlimm ist es nicht.
Ganz so schlimm ist es aber (noch) nicht, wie der Prospekt eines Seminarveranstalters aufklärt, der hauptsächlich Kurse zu Verkaufsförderung anbietet. Danach ist Guerilla-Marketing „die kostengünstigste Form der Kundengewinnung“ und angeblich „in Amerika […] das Geheimrezept erfolgreicher Unternehmen“. „Lokale Zeitungen und [ähem, hust! Der Autor] Blogs berichten über Guerilla-Kampagnen“, die dann beispielsweise so aussehen: Eine Bäckerei, die nicht weiter auffällt, „macht plötzlich Wahlwerbung“ und ruft zum „Wahlkampf an der Kuchentheke auf: Welcher Kuchen ist am beliebtesten?“ Und weiter: „Ein Männermagazin nahm die Wirtschaftsflaute zum Anlass und ließ drei Bodypainting-Models in den Farben Schwarz, Rot und Gold vor dem Berliner Reichstag posieren — mit dem Slogan: ‚Ab jetzt geht’s wieder aufwärts!‘“ Angeblich berichtete sogar eine angesehene Tageszeitung darüber. Meine war es aber nicht.
Aha, trotzdem nähern wir uns dem Phänomen Guerilla-Marketing!
Oder etwa doch?
Bevor wir also möglicherweise in Zukunft unsere Brötchen oder unser täglich Brot erhalten, wird uns zunächst ein Stimmzettel gereicht, den wir auszufüllen haben, welches denn unsere liebste Backware sei. Der Leiter eines Supermarkts läuft während unseres Einkaufs neben uns her, befragt uns zu Produkten und Service und legt dabei unaufgefordert Waren in unseren Korb („Probieren Sie DAS doch mal!“). Beim Kauf von einem Paar Socken werden uns Filme vorgespielt, durch die wir unser Gehverhalten überprüfen sollen („Also, bei DEM Hallux valgus in Verbindung mit Senk- und Spreizfuß gehen DIESE Socken aber mal gar nicht!“) oder in denen prominente Träger gezeigt werden. Der Inhaber einer Reinigung kippt ein Glas Rotwein über das Hemd, das wir gerade eingeliefert hatten, die Vorzüge seiner Wäscherei gegenüber der Konkurrenz hervorhebend („WIR kriegen das wieder raus, das werden Sie schon sehen, die da drüben aber bestimmt nicht!“). Während eines Theaterbesuchs entert plötzlich eine vermummte und Megaphonen ausgestattete Gruppe die Bühne und …
Der Krieg der Werber, sozusagen. Schöne neue Werbewelt!
(Siehe hier auch „Hallo!“ und „Befragung“!)
Ergänzung und Aktualisierung vom 29. März 2016
Bereits lange bevor die Wortschöpfung Guerilla-Marketing vermutlich des Marketing-Experten Jay C. Levinson in der Mitte der 1980er-Jahre aufkam, warf der US-amerikanische Sciencefiction-Autor Frederik Pohl in vielen seiner Kurzgeschichten einen satirischen Blick auf das Konsumverhalten und die Werbung der 1950er- und 1960er-Jahre. So auch in „The Tunnel Under the World“ von 1954. Hier wird gleich eine ganze Stadt für Marktforschungszwecke missbraucht.
Mary und Guy Burckhardt scheinen, abgesehen von den übertrieben häufigen Werbeeinflüssen, denen sie ausgesetzt sind, ein ganz normales Leben zu führen. Doch für Guy wird es plötzlich zum Alptraum, als er bemerkt, dass sich, ähnlich wie in der US-amerikanischen Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (im Original: Groundhog Day) das Tagesdatum ständig wiederholt. Hier aber bietet nur die immer aggressiver werdende Reklame eine allerdings höchst unangenehme, weil höchst aufdringliche Abwechslung. Er versucht die Flucht aus der Stadt und muss mit einem Schock erfahren, dass es durch eine ungeheuerliche Manipulation der Werber kein Entrinnen gibt:
They aren’t Russians and they aren’t Martians. These people are advertising men! Somehow – heaven knows how they did it – they’ve taken Tylerton over. They’ve got us, all of us, you and me and twenty or thirty thousand other people, right under their thumbs. Maybe they hypnotize us and maybe it’s something else; but however they do it, what happens is that they let us live a day at a time. They pour advertising into us the whole damned day long. And at the end of the day, they see what happened – and then they wash the day out of our minds and start again the next day with different advertising . . . Think of it, Swanson! They test every last detail before they spend a nickel on advertising!
(aus Frederik Pohl: A Tunnel Under the World, 1954/1955)
Ein Alptraum, nicht wahr?
(Siehe auch den englischsprachigen Wikipedia-Artikel „The Tunnel under the World“!)
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