Public Viewing
Ein sportliches Großereignis steht in diesem Jahr wieder an: die Fußball-Weltmeisterschaft. Und damit das seit der von 2006 unvermeidliche Public Viewing, das eigentlich „Leichenschau“ bedeutet!
Anglizismen sind die Spachtelmasse für rissiges Deutsch.
(„100 Ratschläge für Kreative“ auf Texter.de – Verzeichnis für Texter & Autoren, Nr. 9; hier über das Internet Archive)
Auch wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nicht Weltmeister werden wird, so sind wir doch seit Langem bereits Weltmeister in der Erfindung und im Gebrauch von (pseudo)englischen Wörtern, die es in der englischen Sprache entweder überhaupt nicht gibt oder in einem völlig anderen Sinn (und somit von uns falsch) verwendet werden. Es sei hier nur an Handy, Beamer, Slip, Wellness und das unsägliche Coffee to go erinnert. Dass wir unsere englischen Sprachkenntnisse bei Weitem überschätzen, sofern solche überhaupt vorhanden sind, wäre ein anderes Thema. Und nun auch noch das: Public Viewing!
Für alle, die es immer noch nicht wissen sollten: Public Viewing bedeutet im amerikanischen Englisch die öffentliche Aufbahrung einer Leiche, um von der verstorbenen Person Abschied nehmen zu können; siehe zum Beispiel das Suchergebnis bei LEO, dem deutsch-englischen Wörterbuch!
Wenigstens ist zu hoffen, dass unsere nationalen Fußballer nicht dementsprechend und wie bei einer Leichenaufbahrung auftreten!
Nachtrag vom 7. Juli 2016: Inzwischen wird angezweifelt, ob die Bedeutung im (amerikanischen) Englisch so eindeutig ist. Der Sprachlog schreibt in „Public Viewing of Public Viewing“, dass es „nicht eigentlich ‚Leichenschau‘ heißt, sondern dass es das auch heißen kann, weil public viewing ein allgemeiner Begriff für das Ein– und Ansehen von Dingen durch die Öffentlichkeit ist (z.B. [sic!] Regierungsdokumente, Exponate aus Kunst, Geschichte oder Botanik, Flughäfen, Paraden einer Sportmannschaft, sich selbst in Sozialen Netzwerken oder eben halt Leichen)“.
Das heißt, wir können würdig Abschied nehmen von der Illusion fußballerischer Glanzleistungen?!
Nomen est Omen?
und gestern und heute wurde Lena öffentlich aufgebahrt…
Wie das?
Lena wurde doch auch im Public Viewing tausenden von Menschen auf den Straßen und Plätzen „aufgebahrt“ / zur Schau gestellt. 😉
Seit 2007 ist der Begriff übrigens im Duden aufgeführt. Trotzdem kann man aber über die Wortfindung nur den Kopf schütteln, wenn man darüber nachdenkt, dass offenbar Menschen, die keinen tieferen Zugang zur englischen Sprache haben, dieses Wort im (und für den) deutschen Sprachraum kreiert haben.
Der Duden richtet sich für meinen Geschmack ein wenig zu stark nach dem Zeitgeist, außerdem gibt er mitunter sogar Firmeninteressen nach. So stand unter dem Schlagwort „googeln“ zunächst „mit einer Suchmaschine im Internet suchen“, aber auf Klage dieser Suchmaschine musste der Eintrag in „mit Google im Internet suchen“ abgeändert werden!
googeln ist inzwischen zum Synonym für „im Internet suchen“ geworden. Was Besseres kann einer Firma ja eigentlich nicht passieren. Der Duden hätte das differenziert erklären können.
Jetzt weiß dank Google der in Internetdingen eher unkundige Leser, dass man mit Google suchen kann, aber offenbar auch anders. Ich suche ganz überwiegend mit http://de.forestle.org/ und bekomme damit in den meisten Fällen auch vernünftige Lösungen.
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