Sambafußball
Was gehen sie einem langsam auf die Nerven: die Reporter aus den Stadien und die sogenannten „Experten“ in den Fernsehstudios! Sie vermiesen jedes Spiel der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft, verunglimpfen sie praktisch. Immer wieder muss es bei den Brasilianern Sambafußball sein! Der Autor ist sauer.
Seit zwei Fußball-Weltmeisterschaften sollte es ihnen bekannt sein, dass die Brasilianer durch ihre Trainer ihr Spiel geändert haben: weg vom früheren „Sambafußball“, der zwar oft wunderschön anzusehen, doch lange reichlich brotlos war. Während ihrer schön spielenden Phase mit vielen Stars und Ballkünstlern zwischen 1974 und 1990 gelang ihnen kein Weltmeistertitel. Man denke nur an das WM-Spiel gegen Argentinien 1990, in dem die brasilianische Mannschaft pausenlos das gegnerische Tor belagerte, Torchance über Torchance hatte, aber der Ball einfach nicht ins Tor wollte. Ein Tor musste „zelebriert“, der Ball quasi „ins Tor getragen“, „getanzt“ werden. Was folgte? Ein genialer Pass Maradonas auf Caniggia, der nur noch den brasilianischen Torhüter Taffarel ausspielen und einschieben musste. Und damit das Aus für die Brasilianer!
Ergebnisorientiert oder schöner Sambafußball?
Und hin zu einem ergebnisorientierteren Spiel. Immer wieder gibt es vor einer anstehenden Weltmeisterschaft Berichte im Fernsehen oder Artikel in Zeitungen, die die am Stand der teilnehmenden Mannschaften Interessierten darüber informieren, dass spätestens mit Dunga ein Trainer der Mannschaft vorsteht, der „erfolgreichen“ Fußball spielen lassen möchte. Was allerdings auch in Brasilien auf wenig Akzeptanz stößt. Aber welcher Trainer stößt dort überhaupt auf Akzeptanz?
Trotzdem wird vonseiten der Reporter das brasilianische Spiel weiter bemäkelt. Es wird von dieser Mannschaft immer mindestens das Doppelte, wenn nicht gar das Drei- oder Vierfache der Leistung verlangt, die sie von anderen Mannschaften erwarten. Und „schön“ soll es dazu auch noch sein: eben Sambafußball!
Zweierlei Maßstäbe
Schiebt etwa eine Mannschaft während der letzten Minuten eines Spiels den Ball nur noch in den eigenen Reihen hin und her, weil das Ergebnis für sie ausreicht, wird es jedem Team nach Sympathie als legale Möglichkeit zugestanden. Den Brasilianern aber wird es verübelt. Sie sind von den Reportern dazu verdammt, bis zur letzten Minute zu „zaubern“. Den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten und ihn dort zu verteilen, bis sich eine Chance zum Angriff ergibt. Heißt es bei anderen Mannschaften „Sicherheit“, bei den Brasilianern „Überheblichkeit“ oder „Ideenlosigkeit“. Den meisten Mannschaften wird ein nicht so gutes Spiel zugestanden, sofern sie die Sympathien der Sprecher und es gewonnen haben. Bei der brasilianischen ist es „wenig überzeugend“ oder gar „enttäuschend“. Es wird mit zweierlei Maßstäben gemessen!
Das „jogo bonito“
Und zur Erinnerung: Gerade während der Zeit des „jogo bonito“, des schönen Spiels, war die „seleção“, die Auswahl, unwillig und lustlos, wenn es sich um Spiele handelte, bei denen es um nichts (mehr) ging. Etwa bei Freundschaftsspielen.
Liebe Reporter und sogenannte Experten: Ihr seid nicht nur völlig desinformiert, wenn ihr noch nicht einmal die Sendungen eures eigenen Programms gesehen habt! Die, die euch über den Wechsel des brasilianischen Spiels aufgeklärt hätten, wie z. B. im Fall von Béla Réthy und dem ZDF. Stattdessen seid ihr ungeheuer arrogant und keineswegs vorurteilsfrei. Immerhin ist Brasilien Rekord-Weltmeister und hatte bisher als einzige Nation an allen Fußball-Weltmeisterschaften teilgenommen! Blitzt da etwa Neid hervor? Oder gar Missgunst? Oder im Fall des „Titanen“ Oliver Kahn als Experte im ZDF: Hat er seinen Lapsus im Endspiel der Weltmeisterschaft 2002 gegen eben diese noch nicht verarbeitet?
Verschont uns also bitte in Zukunft mit euren abwertenden Kommentaren und betrachtet die Brasilianer als eine Mannschaft unter vielen. Das Zeug zum erneuten Weltmeister haben sie auch ohne euch und ohne Sambafußball!
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