Wintersonnenwende
(Sommersonnenwende, siebter Teil)
Wintersonnenwende, denkt er, als er durch die bedeckte Vollmondnacht geht. Die Sonne hat die geringste Mittagshöhe über dem Horizont erreicht, die Tage werden wieder länger.
Nachdem er im Verhältnis zu seinen sonstigen Kleidungsgewohnheiten ungewöhnlich lange überlegt hatte, was er anziehen solle (heute durfte es doch mal wieder der Sakko mit passender Weste und ein gutes Hemd sein), gönnte er sich noch einen kleinen Imbiss als Grundlage und ein gutes Glas Rotwein.
Danach hatte er sich ein Taxi bestellt, aber während der Fahrt beschlossen, sich nicht bis zur angegebenen Adresse fahren zu lassen, sondern schon vorher auszusteigen und noch ein wenig die Vollmondnacht zu genießen, auch wenn der Himmel bewölkt war und sich der Mond nur hin und wieder zwischen den Wolken zeigte. Er kann sich noch nicht entschließen, in all das Gelärme und Gewühle einzutreten, das bestimmt schon längst im Gange war.
Sie wohnt anscheinend in einer Gegend, in die es ihn selten gezogen hat. Oder nie. Ein Stadtteil, der früher ein typisches Arbeiterviertel war und der inzwischen angefangen hat, „hip“ zu werden, wie er gehört hatte und jetzt selbst sehen kann: frisch verputzte und sanierte Häuser, vor denen der eine und andere teure Wagen steht, darunter oft ein „Hausfrauenpanzer“, wie er diese für eine Stadt völlig unpassenden und stets pieksauberen Geländewagen nennt, meist von verheirateten Frauen gefahren, um damit ihre Kinder von der Schule abzuholen und Biolebensmittel einzukaufen. Irgendwie lächerlich! Gentrifizierung nennt man das wohl, denkt er.
Zwischen den sanierten Häusern gibt es jedoch immer wieder solche, die sicher seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden waren, mit alten Holzfenstern, an deren Rahmen kaum mehr Farbe zu erkennen ist, nicht nur wegen der Dunkelheit. In manchen Straßen stehen noch diese alten Bogenlampen mit den grünen Masten, die an Gaslampen erinnern und um diese Uhrzeit reduziert und trüb brennen. Und am Himmel zeigt sich inzwischen immer öfter der Vollmond, der die gleichzeitige Wintersonnenwende in diesem Jahr zu einem fast schon magischen Erlebnis werden lässt.
Er freut sich langsam auch auf die Wiederbegegnung mit seiner Bekanntschaft, „Marieluise“, wenngleich die Unsicherheit und eine gewisse Nervosität in ihm noch die Oberhand haben. Inzwischen musste er schon ziemlich in der Nähe der auf der Einladung angegebenen Adresse sein.
Plötzlich hört er eine Stimme hinter sich.
„Eyalderhastemanekippe?“, nuschelt es von schräg hinter ihm.
(Fortsetzung: Der Joint oder Muss Nutte sein)
Pingback:Heute ist Weltorgasmustag! – Ronalds Notizen