Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (16)
Der Stinkefinger
Der Stinkefinger: Jede(r) hat ihn schon gesehen, vielleicht sogar jemandem gezeigt. Die Geste des hochgereckten Mittelfingers bei gleichzeitig eingezogenen anderen Fingern ist bekannt. Doch woher stammt diese Geste eigentlich? Wie sieht es bei dessen Verwendung juristisch aus? Der Autor klärt auf und verweist auf ein interessantes Buch zum Thema.
Die Geste

Ja, auch Frauen zeigen ihn: Charlie Laine am Set eines Films (www.lukeisback.com/ Wikimedia Commons)
Allseits bekannt dürfte noch der damalige Fußball-Nationalspieler Stefan Effenberg sein. Er machte die Geste 1994 in Dallas während eines Spiels der Fußball-Weltmeisterschaft gegen deutsche Zuschauer, die mit seiner spielerischen Leistung unzufrieden waren und dies durch Pfiffe lautstark äußerten. Im März 2015 ist der Stinkefinger des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, den er 2006 Deutschland gezeigt haben soll, in die Schlagzeilen geraten. Doch zu Griechenland später mehr.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schließlich zeigte den Stinkefinger 2013 sogar auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung, um damit auf seinen an Pannen reichen Wahlkampf zu reagieren.
Die Geschichte des Stinkefingers
Erste literarische Quellen finden sich bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Aristophanes in seiner Komödie „Die Wolken“, die erste bildliche Darstellung erfolgte im 1. Jahrhundert auf einer römischen Urne, auf der bei zwei Gladiatoren dargestellt wurden, von denen einer außer dem Schwert in der einen noch mit der anderen Hand den Stinkefinger zeigt.
Diese Geste war seltsamerweise über Jahrhunderte fast verschwunden, bis sie im 20. Jahrhundert von Amerika aus, wohin sie möglicherweise italienische Einwanderer brachten, eine steile Renaissance begann. Im ausgehenden 19. Jahrhundert tauchte der Stinkefinger zunächst auf Fotos von Baseball-Mannschaften in den USA wieder auf, in einem Stummfilm von Harry Langdon wurde er filmisch verewigt. Die in Nordkorea gefangen gesetzte US-amerikanische Schiffsbesatzung der USS Pueblo hatte 1968 den Triumph wegen der Aussage ihrer Peiniger, die Mannschaft sei übergelaufen, dadurch vorgeführt, indem sie auf Propagandafotos den in Asien unbekannten Stinkefinger zeigten.
Juristische Folgen
Im Straßenverkehr hierzulande drohen beim Zeigen des Stinkefingers zwischen 600 bis zu 4000 Euro Bußgeld, sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ist möglich! Auch in Brasilien übrigens wird das Zeigen mit drakonischen Strafen belegt, während es beispielsweise in Griechenland eine eher drittklassige Geste darstellt. Vor allem in den USA, dort nur the finger genannt, ist er weit verbreitet und damit quasi funktionslos geworden, während er in Arabien oder Asien erst durch die Folgen der Globalisierung bekannt wurde.
Im Zweifelsfall frage, wer den Stinkefinger oft und gern zeigt, vor Reisen ins Ausland explizit nach!
Ein Lesehinweis zum Stinkefinger
Reinhard Krüger, Professor für Romanistik und Gestenforscher an der Universität Stuttgart, hat die Geschichte des Stinkefingers erforscht und ein Buch darüber geschrieben: Der Stinkefinger. Kleine Geschichte einer wirkungsvollen Geste, Berlin 2016. (Siehe hierzu auch die weiteren Verweise unten!)
Der Stinkefinger und die verwandte Feigenhand
Während der Stinkefinger durchweg als obszöne Geste gilt, wird das Zeigen der Feigenhand sehr unterschiedlich bewertet. Diese Geste der Faust mit dem zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmten Daumen gilt in West- und Mitteleuropa sowie in China als sehr vulgär, weil sie den Geschlechtsverkehr symbolisiert. Dies war jedoch nicht immer und ist überall so.
Neben dieser Symbolisierung kann die Feigenhand in unserem Kulturkreis im übertragenen Sinn auch ein vulgäres Nein bedeuten, eine Zurückweisung. Damit entspricht sie verbal etwa einem „Fick dich (ins Knie)“ oder, freundlicher ausgedrückt, einem „Vergiss es“. Im antiken Rom jedoch war die Feigenhand ein verbreitetes Fruchtbarkeits- und Glückssymbol und diente als Amulett zur Abwehr von bösem Zauber. Auch bei den Germanen wurde sie als Symbol verwendet.
Feigenhand-Talismane gelten in Portugal und insbesondere in Brasilien aber auch heute noch als Glücksbringer, wo sie, als figa von Feige bezeichnet, Glück wünschen sollen, gar Potenz. Sie stehen dort für Fruchtbarkeit, Erotik, für mache repräsentieren sie gar die weiblichen Genitalien. Dass den Feigenhand-Talismanen dort jede anstößige Bedeutung abgeht, beweist die Tatsache, dass sogar Frauen sie tragen und auch an Männer verschenken. So bin ich stolzer Besitzer eines Feigenhand-Anhängers und eines Kugelschreibers mit aus tropischem Holz geschnitztem Feigenhand-Griff.
Aber selbst wenn sogar der von mir hoch geschätzte Forscher auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur, Universitätsprofessor und Gründer des Instituts für Kinder- und Jugendliteratur Klaus Doderer, eine große, aus Holz geschnitzte Feigenhand auf seinem Schreibtisch im Institut stehen hatte, verbietet es sich allerdings hierzulande wegen der für hiesige Männer doch missverständlichen Aussage, als Frau eine figa selbst zu tragen.
Weitere Verweise
- Deutschlandradio Kultur: „Kulturgeschichte des Stinkefingers — ‚Was Schlimmes, Aggressives, Sexuelles‘“, Reinhard Krüger im Gespräch mit Ute Welty vom 9. April 2016
- Handelsblatt: „Varoufakis-Eklat — Kulturgeschichte des Stinkefingers“ vom 16. März 2015
- Matriarchat.info: „Herzform als Symbol der Feige“ von Hannelore Vonier über die Feige und die Feigenhand
- Ronalds Notizen: „Erotik und Finger hinein“, „Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (7)“ über die Herkunft von „Digital“, „Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (3)“ über das Essen mit den Fingern in Thailand und „Das Aktbild“ über das Malen eines Aktbildes mit den Fingern
Kommentare
Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (16) — Keine Kommentare