Vom Blitz erschlagen
Zurzeit werden weite Teile Deutschlands immer wieder von heftigen Unwettern mit Gewittern, Starkregen, Hagelschlag und Windböen heimgesucht. Der Klimawandel? Die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden, ist aber relativ gering. Ich erinnere mich an nur vereinzelte entsprechende Meldungen in den Medien.
In den 1960er-Jahren war ich mit meinen Eltern und meinem Bruder oft im Urlaub am Neusiedlersee im österreichischen Burgenland. Mitunter starke Gewitter sind dort keine Seltenheit. Ich erinnere mich an einen Morgen nach einem solchen starken Gewitter, als uns, am Frühstückstisch sitzend, der Wirt der Pension Johann Mehsam erzählte, dass es im Nachbarort mehrere Tote gegeben habe. Alle vom Blitz erschlagen, und zwar „auf einen Schlag“. Ob dieser Ausdruck daher kommt, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich, dass mir einer der Donnerschläge der vorigen Nacht besonders laut und als besonders nah vorgekommen war.
Ich erinnere mich auch daran, dass wir einmal mit unserem Auto auf einem Ausflug in die Umgebung von Neusiedl am See waren, als uns ein Gewitter mit starkem Hagel überraschte. Sehen konnten wir nichts mehr, also war an eine Weiterfahrt nicht zu denken. Als sich das Unwetter verzogen hatte, sind wir ausgestiegen und haben uns umgesehen. Hagelkörner von der Größe zwischen Kirschen und Tischtennisbällen lagen noch überall herum.
Viele Menschen haben Angst vor Gewittern. Astraphobie nennt man diese Angst übrigens. Kein Wunder: Unbändige Kräfte werden währenddessen freigesetzt! Eine frühere Bekannte erzählte mir einmal, dass bei ihr ein Blitz in einen Fernseher eingeschlagen hatte, der nicht völlig abgeschaltet, sondern nur im Stand-by-Modus verblieben war. Sie beobachtete einen Kugelblitz, der sich entlang der Stromleitungen durch ihre Wohnung bewegte. Der Schrecken, der ihr bei diesem Anblick durch die Glieder fuhr, war ihr noch während ihrer Erzählung anzumerken. Der Fernseher war natürlich hinüber. Vom Blitz erschlagen, sozusagen.
Heute vor genau 80 Jahren, am 1. Juni 1938, starb der österreichisch-ungarische Schriftsteller und Dramatiker Ödön von Horváth in Paris, wohin er vor den Nazis geflohen war. Er hatte den Faschismus schon früh vorausgesehen. In seinen Werken, unter denen die Theaterstücke „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Glaube Liebe Hoffnung“, „Kasimir und Karoline“ und der Roman „Jugend ohne Gott“ wohl die bekanntesten sind, thematisierte er immer wieder die sogenannten „anständigen Leute“, die durch ihre Verlogenheit und Gier, Dünkelhaftigkeit und Brutalität in den Faschismus abdriften, ihn überhaupt erst ermöglichen.
Horváth wurde zwar nicht vom Blitz erschlagen, aber die Umstände seines Todes sind dennoch merkwürdig. Nach einem Treffen mit dem Filmregisseur Robert Siodmak und dessen Frau war er während eines Gewitters auf dem Pariser Boulevard Champs-Élysées unterwegs und wurde durch einen herabstürzenden Ast eines Baumes, in den ein Blitz geschlagen hatte, erschlagen. Das Angebot der Siodmaks, ihn mit ihrem Auto nach Hause zu bringen, hatte er abgelehnt, weil er Autofahren für „zu gefährlich“ hielt.
Eine Radiosendung des Formats „Zeitzeichen“ von NDR Info vom heutigen Tag erinnert an sein Leben – und seinen Tod.
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