Abschalten! „Bild“-Visionen von geballter Medienmacht
Wir haben uns hier länger nicht mehr mit diesem Blatt mit den großen Bildern und Schlagzeilen beschäftigt. Sie wissen schon, die „Bild“, die das Wort „Zeitung“ schon lange selbst gestrichen hat. Nun aber hat deren Chef Julian Reichelt Visionen von so geballter Medienmacht formuliert, dass einer/einem angst und bange werden kann. Und einer/einem der Ausspruch von Altkanzler Helmut Schmidt in den Sinn kommt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“
Visionen von geballter Medienmacht eines „Bild“-TV-Kanals nämlich, die er mit solch martialischen Worten ausdrückt, dass uns auch unwillkürlich einfällt, dass Julian Reichelt ja einmal Kriegsreporter war. Geballte Offensive also! Allerdings auch in teilweise grauenhaftem Deutsch. Unter dem Titel „2020 – The Decade of News“ schrieb er eine E-Mail an seine Mitarbeiter/-innen, die sie auf seine Visionen einschwören soll. Der Fach-„Zeitung für Marketing, Werbung und Medien“ „Horizont“ liegt diese E-Mail offensichtlich auch vor (Ausgabe 1-2/2020 vom 9. Januar, Seite 14).
Die Bildschirme, egal, welcher Größe, sind Mittel zum Zweck für unsere Vormacht beim wichtigsten strategischen Thema der 2020er – Live News. Bild Digital Live TV ist die Hochdruck-Technologie, die aus dem Rohstoff unserer Inhalte Diamanten mit höchstmöglicher Härte und Haltbarkeit macht.
Nun, Diamanten mit nicht vorhandener Härte und Haltbarkeit sind uns zwar nicht bekannt, weil es dann keine Diamanten wären, aber die „Hochdruck-Technologie“ lässt ahnen, was uns erwartet.
Lineares TV ist für uns der Funnel in alle Bild-Inhalte auf allen Plattformen. Die Haltbarkeit unserer Inhalte, die damit verbundene Reichweite und Monetarisierung müssen zum Kreislauf werden: […]
Damit Sie nicht nachschlagen müssen: funnel ist das englische Wort für „Trichter“, aber auch für „Schornstein, Schlot, Kamin“ usw. Gehen wir einmal davon aus, dass das Wort in seiner ersteren Bedeutung gemeint ist, schwant uns schon Übles.
Was wir schaffen, ist kein Sender, es ist nicht Fernsehen, es ist nicht linear. Es ist der ultimative Mechanismus zum Ausbau unserer Reichweite auf allen Geräten und allen Plattformen. Es ist der selbst auferlegte Zwang, unsere wertvollste Ware – einzigartige Inhalte – in ihrer wertvollsten Form zu produzieren: im Video und mit maximaler Haltbarkeit, die mit Live beginnt und sich mit On-Demand, Re-Packaging, Atomisierung und Sharability- Optimierung [sic!] für alle bestehenden und zukünftigen Plattformen vollendet.
Volle Deckung, antworten wir im Hinblick auf Reichelts Kriegsberichterstatter-Karriere. Die Deckung ist nämlich nötig, wenn er weiter formuliert:
Bild macht das Verhalten von Millionen zu Live News: Bei uns wird auf den Bildschirm gekritzelt – so wie im US Football [sic!] und so wie Millionen Menschen Dinge aufmalen.
Der US-Fußball kritzelt auf den Bildschirm? Malen Sie Dinge auf Ihren Bildschirm? Wollen Sie, dass „Bild-TV“ das auf Ihrem tut? Wie gesagt: volle Deckung. Und nehmen Sie Ihren Bildschirm mit!
Unser ständiges Ziel, unser Anspruch muss sein: Wen man liebt im Leben, erkennt man daran, mit wem man zuerst teilen will, was man bei Bild gesehen hat.
„Scha-hatz, bevor du an mir fummelst: Hast du schon bei ‚Bild‘ gesehen, wie ‚Silvester-Chaoten‘ Leipzig in Schutt und Asche gelegt haben?“
Manche brauchen so etwas ja vielleicht, um in Stimmung zu kommen und intim zu werden …
Zuschauer-Partizipation ist bei uns fester Bestandteil aller Formate. Durch neue Technologien schaffen wir es, Zuschauer ständig und zu relevantem Anteil zu beteiligen […]
Uns fällt hier nur ein relevanter Anteil der „Zuschauer-Partizipation“ ein: abschalten! Oder gar nicht erst einschalten.
(Der originale Beitrag bei „Horizont“ ist nur für Abonnenten abrufbar; siehe dort aber auch „Fundstück: Wie Bild-Chef Julian Reichelt das christliche Abendland rettete“. Siehe hier beispielsweise auch „‚Hartz IV-Hammer‘?“, „Wir Schweinedeutsche“ und „Keine Bild-Zeitung mehr“!)
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