„Hartz IV-Hammer“?
Die „Bild“ titelt wieder einmal so überdimensioniert wie am Thema vorbei
Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Rechtmäßigkeit von Sanktionen gegen Arbeitslose zu entscheiden. Vom einem „Hartz IV-Hammer“ kann die „Bild“ angesichts des Urteils aber mitnichten sprechen!
Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es im Grundgesetz Artikel 1. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob jemand berufstätig ist oder nicht. Also auch für Arbeitslose! Für diese Menschen existiert eine Grundsicherung, die sich am (aller)untersten Ende des Existenzminimums orientiert. Ob dieses Existenzminimum durch Sanktionen noch gemindert werden darf, darüber hatte vorgestern das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Um einen „Hartz IV-Hammer“ [sic!], wie die „Bild“ angesichts des Urteils titelte, handelt es sich jedoch keineswegs.
Meldeversäumnis oder Pflichtverletzung?
Erscheinen Bezieher/-innen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II (kurz: Arbeitslosengeld II oder im Volksmund „Hartz IV“) beispielsweise nicht zu einer Vorladung, dort meist weniger polizeilich als „Einladung“ formuliert, beim Jobcenter, lehnen einen Vorstellungstermin oder eine Trainingsmaßnahme ab, drohen ihnen Sanktionen. Hier muss jedoch zwischen Meldeversäumnissen und Pflichtverletzungen unterschieden werden. Den allergrößten Teil der Sanktionen stellen die wegen Meldeversäumnissen, also der Nichtwahrnehmung von Terminen. Um diese Meldeversäumnisse, mit einer zehnprozentigen Kürzung des Regelbedarfs sanktioniert, ging es in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aber explizit nicht.
Existenzminimum kürzen oder streichen?
Sanktionen können bis zu einer völligen Streichung der Leistungen führen. Besonders betroffen davon sind junge Arbeitslose bis zu 25 Jahren. Aber natürlich trifft eine völlige Streichung des Existenzminimums auch Erwachsene. Man stelle sich vor, man lebt am untersten Rande einer finanziellen Existenz und dann wird diese auch noch gestrichen!
Das Urteil: ein „Hartz IV-Hammer“?
Das Bundesverfassungsgericht hatte nun darüber zu entscheiden, ob diese Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Urteil in Kürze: Sanktionen sind nicht völlig abgeschafft, sondern nur abgemildert! Lediglich Totalsanktionen gegen junge Arbeitslose und die Streichung der Kürzungen beim Wohnen und der Miete sind unzumutbar. Das ist also etwas ganz anderes als das, was die „Bild“ tags darauf reißerisch titelte, nämlich kein „Hartz IV-Hammer“ [sic!]! Somit ist die Schlagzeile weitaus skandalträchtiger als es die Tatsachen in diesem Fall überhaupt zulassen. Doch das kennt man von diesem Blättchen ja.
Auch die CDU findet Sanktionen gut!
Dass auch der Wirtschaftsrat der CDU Sanktionen allgemein gut findet, verwundert nicht. Ist diese Partei doch mit daran beteiligt, dass das soziale Klima immer eisiger wird und das Solidarprinzip immer mehr aufgelöst wird. Genauso wie auch die Leserschaft dieses Schmutzblatts!
Siehe (hier) auch:
- das Urteil im Wortlaut
- SPIEGEL ONLINE: „Hartz IV: Was das Sanktions-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet“ vom 5. November 2019
- Zu einem anderen „Bild“-Missgriff: Setzfehler: Deutsch-Test für Zuwanderer: bestanden oder nicht?
- Fördern und Fordern
- Mehr Interesse an Statistiken als an Menschen
- Arbeitslose häufig psychisch krank
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