Eine Kerze anzünden
von Ada Miklas
Später werde ich wieder eine Kerze anzünden. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht zu Hause eine Kerze anzünde. Die brennende Flamme vereint mich in Gedanken mit geliebten Menschen, die von uns gegangen sind. Ich tue dies, seit meine Großmutter am 12. Mai in den großen und grenzenlosen Himmel ging. Sie, das letzte imaginäre Bindeglied zwischen mir und den Jahren der schönsten Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend.
Die Erziehung durch die Großeltern birgt einen enormen Mehrwert in sich! Es ist, als würde man durch eine große Enzyklopädie oder eine Chronik blättern. Ich fand die Antwort auf jede meiner Fragen darin. Für jedes scheinbar unlösbare Problem mindestens eine garantierte Lösung.
Auf dem Feld meines Großvaters bin ich von der Zeit der Windeln an bis ins frühe Erwachsenenalter aufgewachsen. Er war wie ein Gärtner, der die Pflanze pflanzt und vom Samen bis zur bunt duftenden Blume hegt. Während ihres Wachstums bewässerte er sie sorgfältig, düngte sie raffiniert, erfreute sich ihres Wachstums, wendete die Pflanze den Sonnenstrahlen zu. Er nahm seine Enkelin unter seine schützenden Flügel. Schließlich verschränkte er seine Arme vor seiner Brust und beobachtete, wie sie sich entfaltete. Wie ich mich entfaltete.
Mit Zärtlichkeit im Herzen erinnere ich mich an meine Großmutter. Sie war schon sehr alt und zerbrechlich. Ich erinnere mich daran, wie sie zum hundertsten Mal meinen Lieblingsapfelstrudel zubereitet. Wie sie meine Lieblingshühnersuppe mit Nudeln auf dem Herd für mich aufwärmt. Sie sagte, es sei kalt draußen und ich bräuchte noch etwas Gutes zum Aufwärmen. Sie tat es immer mit Liebe.
Oma sitzt am Tisch. Sie hat einen Glasbecher vor sich und einen Schluck nicht ausgetrunkenen Kaffees auf dessen Boden hinterlassen. Das tat sie immer. Sie hat auch immer ein paar Krümel auf ihrem Teller gelassen. Sie sagte, es sei unhöflich, den Teller völlig zu leeren. Sie hatte viele Rituale, die sie auszeichneten. Erst nachdem sie diese erfüllt hatte, erlangte sie ihre innere Befriedigung. Das habe ich von ihr geerbt.
Oma trägt eine strapazierfähige Brille zum Zitieren und schiebt sie immer bis zur Nasenspitze. Jeden Morgen liest sie so die Nachrichten aus der Tagespresse vor. Manchmal schüttelt sie den Kopf über die ständig steigenden Preise für Lebensmittel, Dienstleistungen und Medikamente. Am Ende liest sie ihr Horoskop.
Ich besuche Oma mehr oder weniger regelmäßig. Ich könnte es öfter machen. Heute habe ich ihr Mineralwasser und aromatisiertes Wasser mitgebracht. Sie trinkt es gerne mit Zitrone. Ich brachte ihr frische Weintrauben und noch mehr Desserts. Zum Kaffee. Zum Kaffee gab es immer etwas Süßes. Oma schimpft ständig, warum ich mich so um sie sorge. Sie braucht nicht mehr so viel. Doch ich würde ihr auch das Blau vom Himmel holen!
Jetzt, da du gereift bist, seit du dich selbst und deinen Platz in dieser Welt gefunden hast. Aber jetzt ist es zu spät. Am liebsten möchte man die Zeit zurückdrehen.
Ich renne von der Tastatur zum Badezimmerspiegel. Ich versuche, Make-up auf mein Gesicht zu kleben. Ich mache es wiederholt. Make-up übertüncht meine Tränen. Später werde ich wieder eine Kerze anzünden.
(Ursprünglich als Kommentar zum Beitrag „Im Koma“ gedacht, haben die Autorin und ich entschieden, diesen als eigenen Beitrag zu veröffentlichen. Die Urheberrechte verbleiben bei ihr! Siehe hier etwa auch „Gedanken beim Eintritt in eine leerstehende Wohnung“!)
Das ist aber ein schöner Text! Er hat mich an meine eigenen Besuche der Großeltern vor nunmehr sehr, sehr vielen Jahren erinnert. Ihren Erlebnissen habe auch ich immer gern gelauscht und ihre Lebenserfahrungen irgendwie bewundert.
Herzlichen Dank!