Ein Bett für Edward Snowden
Unsere Regierung verweigert Edward Snowden weiterhin Asyl. Am kommenden Jahrestag seiner Enthüllungen, am 6. Juni, sollen daher nach Campact Menschen aus ganz Deutschland zeigen, dass er bei ihnen willkommen ist, und als Zeichen der Solidarität ein Schild an die Tür hängen oder einen Aufkleber an ihrem Briefkasten anbringen. Die Botschaft lautet: Sollte er bei uns klingeln, bieten wir ihm ein Bett an. Damit soll der Bundesregierung klargemacht werden, dass wir ihn aufnehmen wollen und es ablehnen, dass sie ihm Schutz verwehrt. Der Autor wirft einen Rückblick auf den Abhörskandal, erläutert die rechtliche Situation Snowdens in Bezug auf das Aufenthaltsrecht und einer Auslieferung an die USA und macht sich Gedanken über diese Aktion, bei der es keineswegs nur um die Person Snowdens geht, er aber auch eine große Gefahr sieht.
Die Aktion „Ein Bett für Snowden“
I don’t want to live in a world where everything I say, everything I do, everyone I talk to, every expression of creativity and love or friendship is recorded.
(Edward Snowden in einem Video auf Free Snowden)
To sin by silence, when we should protest, makes cowards of men.
(Anfang des Gedichts „Protest“ von Ella Wheeler Wilcox, US-amerikanische Schriftstellerin, * 1850, † 1919, zitiert nach der Ella Wheeler Wilcox Society. Es existiert auch die Version mit dem Anfang „To sit in silence“.)
Die Organisation Campact hat eine neue Aktion ins WWW gestellt: „Die Regierung verwehrt Edward Snowden weiter Asyl. Doch am Jahrestag seiner Enthüllungen, am 6. Juni 2014, zeigen Menschen aus ganz Deutschland: Bei uns ist Snowden willkommen. Als Zeichen der Solidarität hängen sie ein Schild an die Tür und bringen einen Aufkleber an ihrem Briefkasten an. Die Botschaft: Sollte Snowden bei uns klingeln, bieten wir ihm ein Bett an. So machen wir gemeinsam klar: Wir Bürger/innen [sic!] wollen Snowden aufnehmen und lehnen ab, dass die Regierung ihm Schutz verwehrt. Bestellen Sie Türschild und Aufkleber. Beides schicken wir Ihnen kostenlos zu, wir freuen uns aber auch über eine Spende.“ (Quelle: „Ein Bett für Snowden“ bei Campact)
Rückblick auf den Überwachungs- und Abhörskandal

Netzwerke und Server werden überwacht (Microsoft Clip Art)
Wir erinnern uns: Durch die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden wurde publik, dass Geheimdienste wie die US-amerikanische National Security Agency (NSA) oder das britische Government Communications Headquarters (GCHQ) Telefonverbindungen, E-Mail- und andere Internetkommunikation überwachen (siehe hier auch „Abhörskandal, war da was?“). So soll die NSA nach Berichten des Nachrichtenmagazins SPIEGEL und des britischen Guardian allein in Deutschland jeden Monat eine halbe Milliarde E-Mails, Chats, Telefonate und SMS überwachen. Selbst persönliche Computer, Router und Modems können betroffen sein, siehe die interaktive Grafik auf SPIEGEL Online. Zudem sollen Vertretungen der EU-Staaten in Washington und New York mit Wanzen abgehört und deren Computersysteme infiltriert worden sein.
Das britische GCHQ habe nach einem Bericht des Guardian mehr als 200 Glasfaserverbindungen über den Atlantik angezapft und dabei eng mit der NSA zusammengearbeitet sowie beim G20-Treffen 2009 in London systematisch Politiker anderer Nationen ausspioniert und abgehört. Es plant dies auch für zukünftige G20- und G8-Treffen. Bei diesen Aktionen geht es nicht nur um vorgebliche Terrorbekämpfung, sondern auch um Wirtschaftsspionage, wie die brasilianische Präsidentin Rousseff im September 2013 in ihrer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen beklagte (siehe hier „Hut ab!“) und Snowden während eines Anfang dieses Jahres vom NDR ausgestrahlten Interviews bekräftigte.
Bereits 2006 veröffentlichte Mark Klein, ein ehemaliger Nachrichtentechniker des US-amerikanischen Kommunikationsunternehmens und Internet-Anbieters AT&T, Informationen über die Kooperation seines vormaligen Arbeitgebers mit der NSA: Letztere konnte sich mittels eines geheimen Splitters in „Room 641A“ in eine zentrale Leitung der AT&T einklinken und den gesamten Datenverkehr abzweigen. Der US-amerikanische Internetaktivist und Spezialist für Computersicherheit Jacob Appelbaum schrieb im Juli 2013 zum Fall Snowden im Magazin SPIEGEL: „Die Informationen, die Klein enthüllte, wurden heruntergespielt, dabei waren sie ein wichtiges Beispiel für das umfassende Spionageprogramm der NSA.“
Gegenwärtige Ermittlungen
Inzwischen ermitteln mehrere deutsche Staatsanwaltschaften wegen des Verdachts auf millionenfache Verstöße gegen deutsches Recht gegen NSA und GCHQ, außerdem haben der Chaos Computer Club, die internationale Liga für Menschenrechte und der Bürgerrechtsverein Digitalcourage nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen die Bundesregierung und Geheimdienstmitarbeiter erstattet. Auch die Einbindung des Bundesnachrichtendienstes (BND) steht infrage; gegen ihn hat ein Hamburger Rechtsanwalt Strafantrag gestellt.
Ohne eine Einladung zum NSA-Untersuchungsausschuss und eine Anhörung Snowdens wissen wir aber immer noch nichts über das volle Ausmaß dieser Überwachung und Bespitzelung, denn es scheint, dass er noch längst nicht alles Material zur Veröffentlichung freigegeben hat.
Geheimnisverrat oder nicht? Reaktionen
Aus Sicht der US-Regierung hat Edward Snowden durch seine Enthüllungen jedoch einen Geheimnisverrat begannen und soll deshalb vor Gericht gestellt werden. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm eine lange Gefängnisstrafe, wenn nicht gar Schlimmeres, auch wenn US-Justizminister Holden erklärte, dass er bei einem möglichen Strafprozess nicht die Todesstrafe fordern werde, und zusicherte, dass dieser auch nicht gefoltert werde. Weil Snowden trotzdem einen unfairen Prozess befürchtet, weil er sich nicht damit verteidigen könne, dass er im öffentlichen Interesse gehandelt habe, da das im US-amerikanischen Anti-Spionage-Gesetz von 1917 nicht vorgesehen sei, hat er in Deutschland und in 20 weiteren Staaten um Asyl gebeten.
Auch Deutschland hat dies abgelehnt, womit sich die scheinbare Empörung der Bundesregierung über den Abhörskandal als pure Heuchelei erweist. Im Gegensatz zur brasilianischen Präsidentin Rousseff, die aus Protest wenigstens einen geplanten USA-Besuch absagte, hatte Merkel bei ihrem Besuch in Washington Anfang Mai mit Präsident Obama quasi gekuschelt, weil sie den diplomatischen Konflikt scheut und eine Beeinträchtigung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA befürchtet. Statt zu protestieren, ließ sie sich den Gemüsegarten des Weißen Hauses zeigen.
Wie brav: Sie ist zu feige, unsere Grundrechte zu verteidigen, obwohl sie sich doch so empört über die Abhöraktionen der Amerikaner und Briten zeigte, wenngleich in einigermaßen voller Empörung („Abhören unter Freunden, das geht gar nicht!“) erst dann, als sich herausstellte, dass auch ihr eigenes dienstliches Mobiltelefon nicht davon verschont wurde! Ein No-Spy-Abkommen mit den USA wurde von der Bundesregierung kurz vor dem Besuch der Kanzlerin wegen Aussichtslosigkeit dem Papierkorb übergeben, wohl auch auf Druck von US-Außenminister Kerry.
Man stelle sich die Empörung vor, dieser gigantische Abhörapparat wäre von einem russischen Geheimdienst gestartet worden!
Die Rolle von Präsident Obama
Auch Obama ist nicht gewillt, diesem Treiben ein Ende zu bereiten: So kam es etwa im Dezember 2013 im Weißen Haus zu einem Treffen zwischen 15 Spitzenvertretern der Computerbranche und dem US-Präsidenten. Dieser kam ihnen jedoch bei der Bitte um größere Zurückhaltung des Staates beim Ausspähen und Überwachen nicht entgegen; ausgerechnet jener Präsident, der auch durch massive Unterstützung aus dem Silicon Valley gewählt wurde!
Weitgehend unbekannt dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass Obama entgegen seinen Beteuerungen in seinem Wahlkampf 2007, es werde unter seiner Präsidentschaft keine Abhörmaßnahmen geben, 2008 noch als Senator aus Illinois im Kongress für deren Ausweitung und ein halbes Jahr darauf als inzwischen gewählter Präsident für schärfere Strafen für Whistleblower stimmte.
Thomas Drake, das erste Opfer
Als Ersten traf es Thomas Drake, einen bis 2008 hohen NSA-Abteilungsleiter und Computerspezialisten, der die Ungesetzlichkeit des Vorgehens nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte und im November 2005 „Staatsgeheimnisse“ an die Baltimore Sun verraten hatte. Deswegen geriet er ins Visier des Federal Bureau of Investigation (FBI), das im November 2007 sein Anwesen durchsuchte und Computer, Dokumente und Bücher beschlagnahmte. 2010 wurde gegen ihn Anklage erhoben, die im Prozess 2011 allerdings in allen Punkten in sich zusammenfiel. Sein Leben war danach trotzdem ruiniert, allein die Rechtsanwaltskosten fraßen fast sein gesamtes Vermögen auf, zudem verlor er seine Pensionsansprüche. 2011 erhielt Drake den Sam Adams Award „für Integrität im Nachrichtendienst“, den Edward Snowden im Jahr 2013 ebenso erhielt, und den Ridenhour Truth-Telling Prize.Nach den Enthüllungen des NSA-Programms PRISM durch Edward Snowden sagte Drake dem Guardian, dass das von Snowden Offengelegte „nur die Spitze des Eisbergs“ sei.
Enthüller beim GCHQ
Auch beim britischen Geheimdienst gab es Menschen, die in der Vergangenheit Informationen über illegale Tätigkeiten lieferten, wie etwa Katherine Gun, die 2003 mit streng geheimen Unterlagen zu illegalen Aktivitäten während der Invasion des Iraks im gleichen Jahr an die Öffentlichkeit trat, und John „Jock“ Kane, der in seinen Memoiren „GCHQ: The Negative Asset“ Interna über seine über 25-jährige Tätigkeit dort veröffentlichen wollte — sie wurden verboten. Gun wurde 2004 mit dem Sam Adams Award ausgezeichnet.
Asyl für Edward Snowden oder nicht?
Snowden mag gegen Gesetze der USA verstoßen haben, aber er hat sich um die Freiheit und die Bürgerrechte von uns allen verdient gemacht. Trotz eines Auslieferungsabkommens mit den USA könnte die Bundesregierung dessen Überstellung an die USA verweigern, wobei sie sich auf § 4 des Abkommens berufen und auf den Standpunkt stellen könnte, dass seine Aufklärung über die Überwachungsprogramme der NSA und des GCHQ eine „politische Straftat“ im Sinne des Abkommens darstellt. Zudem ist Edward Snowden in Deutschland nicht zur Fahndung ausgeschrieben; ein Eintrag im Polizeifahndungssystem Inpol wäre aber die Voraussetzung für eine Festnahme und für eine Auslieferung an die USA. Auch eine Aufenthaltserlaubnis aus „völkerrechtlichen und dringenden humanitären Gründen“ ist nach § 22 Aufenthaltsgesetz möglich.
Doch von einer Einladung oder gar von der Gewährung von Asyl ist die Bundesregierung weit entfernt, weil dies einen offenen Konflikt mit den USA nach sich ziehen würde. Nach einer neueren Meldung des Magazins SPIEGEL drohen US-amerikanische Rechtsanwälte in einem Gutachten inzwischen sogar dem NSA-Untersuchungsausschuss mit einer Strafverfolgung in den USA, falls er Snowden befragen wolle, weil dies als „kriminelle Verabredung“ gewertet werden könne, wobei es keine Rolle spiele, ob er in Deutschland, Russland oder woanders vernommen werde.
Allerdings sieht der Autor im Falle eines Asyls in Deutschland die große Gefahr, dass er von einem geheimen US-Trupp in die USA entführt werden könnte, wovon die USA im derzeitigen Fall des russischen Asyls wegen mindestens heftigster diplomatischer Verwicklungen wohlweislich Abstand nehmen (siehe hierzu beispielsweise die Kommentare zu „Welcome to Germany, Edward Snowden“ im Campact-Blog). Sein Aufenthaltsrecht dort läuft am 1. August 2014 ab.
Enthüller von Missständen brauchen Schutz
Doch es geht beileibe nicht nur um Edward Snowden. Schon vor ihm und Drake war „das Programm“ bekannt: Bereits im Dezember 2005 veröffentlichte die New York Times aufgrund anonymer Informationen einen Artikel über die Illegalität der NSA-Überwachungsmaßnahmen, die im Patriot Act von Präsident Bush ihren Ursprung hatten; auch hier waren sogenannte „Whistleblower“ (im Englischen übrigens whistle-blower oder whistle blower) wie etwa der bis 2006 als Jurist im US-amerikanischen Justizministerium angestellte Thomas Tamm die Quelle.
Viele andere große Skandale kamen nur durch Enthüller ans Licht der Öffentlichkeit, es sei hier beispielsweise an Julian Asange, Barrett Brown, Jeremy Hammond, Bradley Manning und Chelsea Tatum erinnert. In Deutschland möchte der Autor in diesem Zusammenhang Günter Wallraff hervorheben. Menschen haben für die Offenlegung von Missständen ihre berufliche Stellung, ihre Karriere, ihre Freiheit und sogar ihr Leben riskiert, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Sie brauchen Schutz, denn es sollte im Interesse von uns allen liegen, dass solche Skandale aufgedeckt werden.
Im Bundestag wurde zwar bereits über einen besseren Schutz von Enthüllern und Informanten beraten, doch die vorherige schwarz-gelbe Koalition hat alle Vorstöße abgelehnt, obwohl sie sich laut dem Antikorruptions-Aktionsplan der G20-Staaten vom November 2010 bis Ende 2012 Regeln zum Schutz für Whistleblower zu erlassen und umzusetzen verpflichtet hatte. Bei der amtierenden Großen Koalition sieht es auch nicht besser aus, siehe oben.

Möge Edward Snowden allzeit gut schlafen! (Unmade Bed, Image by © Royalty-Free/Corbis)
„Whistleblower, die sich an eine Behörde, die Presse oder eine Nichtregierungsorganisation (NGO) wenden, um auf Missstände hinzuweisen, müssen durch ein Whistleblower-Gesetz geschützt werden.“ Diesen Appell unterstützt der Autor. Doch bitte in aller Konsequenz, was auch einen Schutz vor geheimen militärischen Aktionen bedeutet, aber ob diesen allein ein Bett bei uns garantiert, ist sehr fraglich!
Dass eine solche Geheimaktion überhaupt in den Bereich des Möglichen gefasst werden muss, sollte uns allerdings zusätzliche Angst machen!
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