Eine Frau im Waschsalon
Eine ältere Frau im Waschsalon, die offensichtlich noch nie selbst Wäsche gewaschen hat, gibt Rätsel auf. Sie füllte ihre Wäsche in einen Trockner und fragte, wo hier das Waschpulver einzufüllen sei. Offensichtlich kannte sie den Unterschied zwischen einer Waschmaschine und einem Wäschetrockner nicht! Sozialer Abstieg oder Technikverweigerung?
Vor wenigen Tagen, während meine Wäsche gerade in der Waschmaschine rotiert und ich Zeitung lese, betritt eine ältere Frau den Waschsalon, steuert direkt auf die großen Wäschetrockner zu, die in der hinteren Wand eingelassen sind, füllt ihre Wäsche hinein, schließt die große Fronttür und ruft laut in die Runde, wo denn hier das Waschpulver hineinkäme. Das gibt Rätsel auf.
Nachdem sie sich von einem anderen männlichen Kunden des Waschsalons hatte erklären lassen, dass dies ein Wäschetrockner und ein solcher nicht zum Waschen geeignet sei, sie ihre Wäsche in eine Waschmaschine umgefüllt und diese mithilfe des Kunden erfolgreich gestartet hatte, setzt sie sich ebenfalls. Sie zieht ein Kreuzworträtselheft aus ihrer Tasche und macht sich ruhig an die Lösung. Mit meiner Ruhe hingegen war es vorbei.
Die Frau im Waschsalon ist mindestens 55 Jahre alt und sieht, auch von ihrer Kleidung her, weder ungepflegt noch irgendwie dement aus. Verblüffend ist jedoch, dass sie zielstrebig an all den Waschmaschinen vorbei auf die viel größeren, weil fast mannshohen Wäschetrockner im hinteren Teil des Raums zusteuerte. Allein deren große verglaste Fronttüren unterscheiden sich von denen der kleineren Waschmaschinen. Letztere verfügen zudem noch über die oben eingelassen Behälter zum Einfüllen des Waschpulvers und des Weichspülers sowie über die Schalttafel zum Einstellen der Waschtemperatur an der Frontseite, während die Trockner nur wenige Temperatureinstellungen haben. Zudem fehlen dort die Einfüllstutzen für die Waschmittel. Offensichtlich kannte sie also nicht nur den Unterschied zwischen einer Waschmaschine und einem Wäschetrockner nicht, sondern hatte wohl noch nie selbst Wäsche gewaschen. Geschweige denn einen Waschsalon besucht!
Wer aber hatte das bisher für sie erledigt? Hatte sie früher Bedienstete, auf die sie nun, vielleicht aus Gründen eines sozialen Abstiegs, nicht mehr verfügen konnte? Von einem solche kann man ja heutzutage schneller getroffen werden als man denkt! Oder schlichte Technikverweigerung? Auch das ist ein Phänomen, das angesichts der rasanten technischen Entwicklung bei vielen, gerade älteren Menschen auftritt.
Nun, ich hätte die Frau im Waschsalon selbst fragen können, aber das wäre mir als zu neugierig, wenn nicht gar unhöflich vorgekommen. Stattdessen gibt mir diese Frau immer noch Rätsel auf, ähnlich wie das der verschwundenen Frau, und ich habe an diesem verregneten Sonntag etwas zu tun, nämlich die Geschichte von der Frau im Waschsalon zu notieren.
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