Winterschlaf
Ich könnte Winterschlaf halten. Also eigentlich eine Winterruhe. Der Unterschied zwischen beiden ist der, dass Tiere beim Winterschlaf ihre Körpertemperatur absenken, keine Nahrung aufnehmen, Atem- und Pulsfrequenz sowie die Aktivitäten ihres Stoffwechsels verlangsamen. Bei der Winterruhe hingegen sinkt die Körperkerntemperatur nicht ab; die Tiere nehmen während der Wachphasen Nahrung zu sich und geben Urin und Kot ab. Da ich aber schlafen und schlafen und schlafen könnte, spreche ich von Winterschlaf.
Ich könnte schlafen, hin und wieder aufstehen, etwas essen und trinken, ein Hörspiel oder eine andere Sendung im Radio hören. (Nur schlafe ich dabei meist wieder ein.) Fernsehen und Filme gucken. Meine E-Post durchsehen (der ganz analoge Briefkasten bleibt hoffentlich leer!), Nachrichten lesen und Netzwerke aufsuchen, in denen ich Mitglied bin. Vielleicht auch einen Blog-Beitrag verfassen, etwa über den Winterschlaf. Einen wie diesen hier. Ein wenig an sich herumspielen? Und danach wieder schlafen. Ein Buch zu lesen, wäre schon mit zu viel Anstrengung verbunden. Ein Buch verlangt Aufmerksamkeit!
Die Tageszeiten spielen keine Rolle. Es ist also auch möglich, tagsüber zu schlafen und nachts aufzuwachen. Tagsüber zu träumen und nachts zu wachen. Das Bett nur zu verlassen, wenn es unbedingt nötig und mir danach ist. Aber das ist in Anbetracht der Kälte außerhalb des Bettes wenig empfehlenswert. Und auf meinem Hochbett hält sich die Wärme, während es unten kalt ist.
Es gibt aber auch noch eine dritte Art, wie manche Tiere (und Pflanzen) den Winter überstehen: die Winterstarre, auch Kältestarre genannt. Hierbei sind sie dem Tode näher als dem Leben. Ich überlege, ob ich diesem Zustand nicht auch schon recht nahe bin.
Das große Problem bei der Winterruhe bzw. meinem Winterschlaf nämlich ist die Versorgung mit Nahrung und Getränken. Hier wäre eine Winterstarre zwar praktischer, aber das Vergnügen, das dieser Zustand auch bietet, könnte gar nicht ausgekostet werden.
Allerdings hat er auch Nachteile. Ich bewege mich zu wenig, sitze, liege und rauche aber zu viel. Ich merke, dass ich kurzatmiger werde, wenn ich nur einen etwas längeren Weg als den für die üblichen Einkäufe zurücklegen muss. Und die persönlichen Kontakte lassen nach. Cocooning nannte man dieses Phänomen einmal. In Japan kennt man es als Hikikomori, eine Bezeichnung für das Phänomen als auch die Menschen selbst, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft meiden.
Einsamkeit? Nein, nicht wirklich. Zwar genieße ich Gespräche mit Nachbarn, die sich ergeben, wenn ich sie beim Einkaufen treffe, aber sonst? Ich suche keine Kontakte zurzeit; die bestehenden beschränken sich meist auf solche aus Netzwerken. In meinen Träumen hingegen stehe ich fast immer in regem Austausch mit anderen Menschen, es sei denn, dass ich wieder einmal von meinem früheren Katzen träume.
Das Alter? Es heißt oft, dass je älter jemand werde, desto weniger Schlaf benötige man. Ich erinnere mich zwar, dass ich als Schulkind oft schon vor dem Klingeln des Weckers aufgewacht bin, aber je älter ich wurde, desto länger konnte ich schlafen. Und den Wecker ausschalten. Die wenigen Termine, die ich jetzt noch habe, werden auch mal abgesagt oder verschoben. Wie gesagt: nur das Nötigste.
Schlafstörungen? Gut möglich. Vor allem dann, wenn ich, wirklich hundemüde, beschließe, einmal (für meine Verhältnisse) wirklich früh zu Bett zu gehen – und dann mitten in der Nacht wieder aufwache! Da ich weiß, dass es völlig sinnlos ist zu versuchen, wieder einzuschlafen, stehe ich dann auf und erledige … siehe oben.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir (Ilja Iljitsch) Oblomow ein, die Titelfigur in Iwan Gontscharows Roman, dessen Leben von Trägheit und Schläfrigkeit durchzogen ist. Alle Versuche, sein Leben in geregelte Bahnen zu lenken, schlagen fehl. Er stirbt am Ende, ohne versucht zu haben, sein Leben aktiv zu gestalten. Eine, aus meiner Sicht, trotzdem nicht unsympathische Figur, auch wegen der Darstellung durch Axel Milberg in der Hörspielbearbeitung dieses Romans.
Aber zu viel nachgedacht! Ich glaube, ich werde mich wieder hinlegen …
(Siehe beim NABU: „Winterschlaf und Winterruhe“ und hier auch „Schlaf. Ein Haiku“, „Frühlingstraum“ und „Verregnete Sonntage“!)
Jeder von uns ist eine Art von seltsam-individualistisch. Je älter wir werden, desto größer wird unsere persönliche Definition. Wir sehen die Realität, das umgebende Leben, aber wir tauchen mehr in die Frage ein, wen wir selbst geschaffen haben. Wir weigern uns, unsere Komfortzone zu verlassen. Lassen sie uns schließlich sanft „verschwinden“ …
Du meinst so etwas wie Weltflucht, Eskapismus (siehe den slowakischen Wikipedia-Artikel „Únik“)? Daran hatte ich auch schon gedacht.
Och, dieses Schlafbedürfnis habe ich eigentlich nicht nur im Winter … Es ist darüber hinaus aber auch so, dass ich einfach total gern träume. Und dann kommt ja vielleicht noch dazu, dass das Bett einem so eine Art Geborgenheit gibt, was einen möglicherweise unbewusst an die Zeit im Mutterleib erinnert, in der man keine Verpflichtungen hatte.
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