Seines Glückes Schmied sein?
Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet ein altes Sprichwort. Wobei natürlich auch jede ihres Glückes Schmied ist. Doch ist das eigentlich eine gute Idee? Sind es nicht gerade wir selbst, die das Glück verhindern? Der Philosoph und Theologe Jean-Pierre Wils hat darüber einen wunderbaren Aufsatz geschrieben.
In einem Appius Claudius Caecus, einem römischen Konsul der Jahre 307 und 296 v. Chr., zugeschriebenen Gedicht heißt es: fabrum esse suae quemque fortunae. Jeder sei der Schmied seines Glücks. Der Satz findet sich in vielen Sprachen und bedeutet, dass jede(r) selbst dafür verantwortlich ist, dass er/sie in seinem/ihrem Leben glücklich (und erfolgreich) ist oder wird.
Ist aber die Idee dahinter eigentlich eine gute? Stehen wir dem Glück nicht oft selbst im Wege? Ist das (ewige) Streben nach Glück eigentlich erstrebenswert? Was ist eigentlich Glück? Und: Ist individuelles Glück in einer unglücklichen Gesellschaft überhaupt vorstellbar?
Der flämisch-belgische Hochschullehrer, Philosoph und Theologe Jean-Pierre Wils hat darüber einen wunderbaren und sehr lesens- und/oder hörenswerten Aufsatz geschrieben.
Das Streben nach Glück
Menschen früherer Zeiten blieb vermutlich nichts anderes übrig, als gegen Ende ihres Lebens festzustellen, dass sie „Glück gehabt“ hätten. Falls das der Fall war, meinten sie damit, dass ihnen das Schlimmste erspart geblieben sei, dass sie nicht allzu frühzeitig aus dem Leben gerissen wurden und dass das Schicksal resp. Gott es nicht schlecht mit ihnen gemeint hätte.Zweifelsohne haben Menschen schon immer eine Art Glücksverlangen gekannt, aber es ist zu bezweifeln, dass dies schon immer ihre primäre Sorge gewesen ist. Das, was wir gemeinhin ein glückliches Leben nennen, setzt nämlich erhebliche Zivilisationsschritte – Zivilisationsfortschritte – [Auszeichnung des Autors dieses Beitrags] voraus.
Wenn diese Menschen jedoch nicht gerade Angehörige des Adels oder eines anderen privilegierten Standes waren, sah ihr Leben in der Wirklichkeit häufig völlig anders aus. Denn, wie wir heute wissen, war die Mehrheit der Menschen früherer Zeiten häufig von Gewalt umgeben und von Bedrohungen von Leib und Leben umzingelt. Und eben nicht Mitglieder einer Elite und somit des „Glücksprivilegs“! Das Streben nach Glück blieb diesen Menschen zeitlebens ein reichlich fremdes Ansinnen.
Danach dauerte es noch eine lange Zeit bis zum Glücksimperativ von heute.
Der Glücksimperativ
Wer kennt sie nicht: Bücher mit Anleitungen für das Glücklichsein und (selbst ernannte) sogenannte Coaches, die uns mit Ratschlägen, Kursen und Seminaren überschwemmen. Dahinter schient eine ganze Glücksindustrie zu stecken, so möchte man meinen. Es erscheint heutzutage geradezu als Pflicht, glücklich zu sein. Der Glücksimperativ! Wir werden ständig angehalten, nach einem möglichst erfüllten Leben zu streben und uns ständig um unsere Lebensqualität zu sorgen.Doch kann uns dieser Glücksimperativ auch schnurstracks ins Unglück führen.
Glückliche Kühe?
Auch wenn uns die Werbung das gern vermitteln möchte (und ich meine Katzen in Momenten gesehen habe, in denen sie glücklich zu sein schienen), ist doch davon auszugehen, dass nur Menschen glücklich sein können. Für das Empfinden des Gefühls, glücklich zu sein, benötigt es nämlich ein Bewusstsein. Mehr noch: ein Selbstbewusstsein! Man kann nämlich nicht „glücklich sein“, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zudem benötigen wir sogar eine Sprache, um uns „glücklich“ (oder „unglücklich“!) nennen zu können. Und um das anderen vermitteln zu können! Das Empfinden von Glück scheint also unser Alleinstellungsmerkmal zu sein.
Aber auch hierüber sollten wir uns nicht zu früh freuen. Unsere Begabung zum Unglück ist nämlich mindestens genau so ausgeprägt.
Menschen als geborene „Unglücksraben“
Unsere Begabung zum Unglück ist nicht immer nur der Dummheit geschuldet. Wenngleich auch sehr oft! Angesichts beispielsweise von Bildern oder Beschreibungen davon, wie es zu Arbeits- oder Haushaltsunfällen gekommen ist, möchte man meinen, dass das Auslösen (und das Erleben) von Unglück ebenso unser Alleinstellungsmerkmal zu sein scheint.
Wils stellt deswegen die (rhetorische) Frage, ob es „da nicht besser oder zumindest vernünftiger [wäre), vom Streben nach Glück abzusehen und eher auf die Unglücksvermeidung zu setzen“. Und ob „individuelles Glück in einer unglücklichen Gesellschaft vorstellbar“ ist.
Das Unglück
Das Streben nach Glück würde in einer unglücklichen Gesellschaft vom Einzelnen Erhebliches verlangen, nämlich „Durchhaltevermögen, Resilienz, Unabhängigkeit und Charakterstärke“. Und: „Es gibt Dinge, die wir zwar wollen, aber die wir besser nicht wollen sollten.“
Wir verwechseln das Glück häufig mit der Erfüllung von Wünschen oder Träumen. Doch es gibt jede Menge Verlangen, die uns geradezu ins Unglück führen.
Wir sollten wissen, was es für Folgen hat, wenn wir nach etwas verlangen und es uns wünschen. Die sofortige oder schnelle Befriedigung eines Verlangens steht nicht selten einer eher langfristigen Befriedigung eines anderen Wunsches im Wege. Aber mehr noch: Die Erfüllung eines Verlangens hat oft zur Folge, dass ich nach Neuem verlange und so weiter und so weiter. Ich befinde mich dann in einer Kaskade von Verlangen, verliere irgendwann die Orientierung – und bin dann ein unglücklicher Gefangener meiner Wünsche.
Zudem wählten wir oft nicht etwas, weil wir danach verlangen, sondern wir verlangen danach, weil es gerade leicht als zu haben erscheint. Die Anpassung des Verlangens an Umstände und Angebote. Enttäuschung (und Unglück) sind vorprogrammiert.
Doch wann sind wir eigentlich und überhaupt glücklich?
Wann sind wir eigentlich glücklich?
Für viele gehört die Lebensqualität, also dass sie in einigermaßen sicheren Verhältnissen leben und sich nicht ständig ängstigen müssen, als ein Auslöser von Glück. Dazu gehören ein angenehmes Maß an materiellen und immateriellen Gütern, die Verschonung von Schmerzen oder langwierigen Leiden, eventuell noch eine zufriedenstellende Beziehungs- oder familiäre Situation.Für andere bedeutet es die Realisierung all dessen, was sie sich wünschen. Beruflich erfolgreich zu sein. Die „Empfindungen von Lust und Genuss“. Für wiederum andere euphorisch gestimmt und von Hochgefühlen übermannt zu sein.
Aber taugen diese Voraussetzungen auch für das Erlangen von Glück?
Ihres/seines Glückes Schmied sein?
Wie wir gesehen haben, ist „glücklich sein“ keine Fähigkeit des Menschen schlechthin, sondern bezieht sich lediglich auf eine Auswahl. Auch der Faktor „Lebensqualität“ ist für eine Bilanzierung ungeeignet.
Die Suche nach dem Glück scheitert außerdem häufig schon an der Frage, was Glück überhaupt ist.Nicht einmal ein reiches Lebensqualitätskonto garantiert, dass die betreffende Person sich glücklich nennt. Ihr fehlt es womöglich an Lebenssinn, obwohl sie sich in äußerst angenehmen Lebensumständen befindet.
Angesichts dieser und vieler weiterer Unwägbarkeiten: Warum halten wir dann so an ihm und an der Suche nach ihm fest? Welche Alternativen gäbe es dafür? Und vielleicht brauchen wir vorher noch eine Übung in Glückbescheidenheit?
Hören oder lesen Sie Wils’ wunderbaren Aufsatz!
Der Aufsatz
- Deutschlandfunk: „Moderne Lebensqualität. Der Glücksimperativ – ein Fallstrick?“ vom 21. April 2019 (mit Audio, knapp 30 Minuten)
Siehe hier auch
- Einsamkeit und Alleinsein
- Manifest zur Abschaffung der Liebe
- Das Unglück
- Lass es frei! und hier auch die Kommentare
(Bildernachweis: Innviertlerin: Blacksmith Horseshoe Anvil, Pixabay, und unbekannter Künstler: Gottfried Keller: „Der Schmied seines Glückes“, Internet Archive)
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