Manifest zur Abschaffung der Liebe
Liebe existiert nicht (mehr). Sie ist nur eine Idee, die längst überholt ist. Daher wird es höchste Zeit für ein Manifest zur Abschaffung der Liebe.
Das Ende der Liebe könnte man mit dem Licht eines Sterns vergleichen, der vor langer Zeit verschwunden ist, uns aber immer noch blendet. Wir verwechseln das Licht des Sterns, das romantische Image, mit dem Stern, der Liebe selbst. Doch dieser existiert nicht mehr.
So die Soziologin Eva Illouz im Film „Yes No Maybe – ist Liebe nur eine Utopie?“ des Schweizer Dokumentarfilmers Kaspar Kasics von 2015. Und der Schriftsteller und Philosoph Sven Hillenkamp im selben Film:
In der westlichen Welt herrscht heute ein Maß an Freiheit, das die romantische Liebe nicht nur bedroht, sondern geradezu verunmöglicht. Die unbegrenzten Möglichkeiten, den aktuellen Partner durch einen scheinbar passenderen zu ersetzen, sind ein veritabler Beziehungskiller. Das beliebige Ausprobieren und Austauschen entzieht der romantischen Liebe die Grundlage, nämlich als ein einmaliges Abenteuer gewagt und empfunden zu werden.
Über Liebe haben die berühmtesten Dichter geschrieben, aber seltenst die klügsten Philosophen oder Psychologen. Dies gilt bis heute. Das führte und führt dazu, dass wir über die Liebe kaum etwas wissen. Es herrscht ein heilloses Durcheinander darüber, was Liebe denn heute noch bedeutet. Ist die Liebe nun eine biologisch-genetische „Idee“ oder eine christlich-religiöse? Sind wir nun polygam oder monogam veranlagt? Und wie ist das mit der Fortpflanzung und der Liebe? Oder dem Sex? Verwechseln wir nicht oft Liebe mit Sex? Und umgekehrt?
Hinzu kommt das mit der Romantik. Die Idee der „romantischen Liebe“ spukt noch immer in unseren Köpfen herum. Trotz Partnerschaftsbörsen im WWW und Swinger-Clubs in der realen Welt. Oft machen wir uns am Anfang einer Begegnung große Hoffnungen, um später als Fremde zurückzubleiben.
Daher braucht es Aufklärung. Und ein Manifest zur Abschaffung der Liebe. Ziel dieses Beitrags ist es jedoch nicht, hier einen weiteren der vielen Ratgeber zu verfassen, wie Sie denn nun (besser) lieben können!
Das Manifest zur Abschaffung der Liebe
Zunächst einige Grundgedanken.
Liebe gibt es eigentlich nicht, sondern Liebe ist ein extrem stark von gesellschaftlichen Konventionen und Diskursen beeinflusstes Gefühl. Und das Erstaunliche ist, dass die Gefühle den Diskursen folgen. So wie wir über die Liebe reden, so empfinden wir auch.
(Die Politologin und Publizistin Antje Schrupp in der Bayern-2-Radiosendung „Zündfunk Generator: Wie wollen wir in Zukunft lieben?“ vom 12. Februar 2017)
Weder für den Sex noch für eine Bindung zur „Brutpflege“ brauchen wir (das Konstrukt der) Liebe. Dafür hat sie sehr viel mit Eigennutz zu tun. Und mit der Chemie im Gehirn. Auch mit Erwartungen. Zudem verwechseln wir Emotionen und Gefühle.
Liebe? Evolutionsbiologisch ohne jeden Wert
Verliebtsein und Liebe können etwas mit einer Paarbindung zu tun haben, müssen aber nicht. Phänomene wie diese sind auch nicht Konstanten der Menschheitsgeschichte, sondern soziokulturelle Variablen. Diese haben sich aber nicht „evolutionär“ entwickelt. Die „natürliche Zuchtwahl“ bei Tieren kennt nur Egoismus, nämlich die Erhaltung der Art. Der Mensch hingegen vermehrt sich nicht nach Art der Tiere. Bei ihm können sie zu Altruismus führen, zu Mitgefühl und Sympathie, also zu Gefühlen. Und zur Moral. Diese sind jedoch evolutionsbiologisch ohne jeden Wert!
Die bürgerliche Familie ist auch nicht evolutionäre „Norm“, sondern nur ein Modell von vielen. Ebenso verhält es sich mit der Treue. Mann und Frau gibt es nicht, weil sie zur Fortpflanzung und sexuell nicht unbedingt benötigt werden.
Monogamie? Eine Erfindung der Menschheit
Zudem ist der Mensch polygam veranlagt. Das Judentum sah die Monogamie als Mittel zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen, im altrömischen Recht diente sie lediglich zur Verbindlichkeit des Erbrechts.
Der Familie als (monogames) Modell für Halt und Bindung steht jedoch der (meist polygame) Wunsch nach Freiheit und Abenteuer entgegen. Von der Liebe wollen wir Ersteres, in der Liebe Letzteres. Beides lässt sich jedoch so gut wie nie verbinden. Zumindest nicht auf Dauer.
Liebe gleich Sex? Ein Irrtum
Wir sprechen, besonders dann, wenn wir uns in einer engeren, intimen Beziehung befinden, häufig von „Liebe machen“ für „Sex machen“. Doch Liebe lässt sich nicht aus der Sexualität ableiten. So wenig wie umgekehrt.
In Zeiten, in denen wir uns Partner/-innen für welchen Zweck auch immer suchen und zwischen diesen nach Belieben wechseln können, und das oft zeitgleich, entpuppt sich diese These als eine Illusion. Und als ein Trugschluss, der auch den Mythos der Treue zumindest infrage stellt.
Manifest zur Abschaffung der Liebe
Sie sehen also anhand dieser wenigen Grundgedanken (es ließen sich noch viele, viele weitere aufzählen, doch das würde den Rahmen dieses Blogs sprengen!), dass doch einiges für eine Abschaffung der Liebe spricht.
- Machen Sie sich (und Ihrem Partner resp. Ihrer Partnerin!) nichts vor, wenn Sie das Wort „Liebe“ in den Mund nehmen. Am besten, Sie vermeiden es gleich ganz.
- Sprechen Sie nicht von Liebe, wenn Sie Sex meinen, und umgekehrt.
- Sprechen Sie auch nicht von Liebe, wenn Sie (nur) eine Familie, Sicherheit und (finanzielle) Versorgung, Kinder u. Ä. wollen.
- Bedenken Sie, dass Ihr Glück nicht von dem Ihres Partners resp. Ihrer Partnerin abhängt. Aber auch, dass Sie eine Verantwortung sowohl für Ihr eigenes Glück als auch dem Ihres Partners resp. Ihrer Partnerin haben.
- Begehen Sie also auch nicht den Fehler, Ihren Partner resp. Ihre Partnerin für alles verantwortlich zu machen. Weder für Ihr eigenes Glück noch für Ihr eigenes Unglück.
- Seien Sie sich und Ihrem Partner resp. Ihrer Partnerin gegenüber ehrlich. Versprechen (und verlangen!) Sie nichts, was Sie nicht selbst auch einhalten können.
- Vergleichen Sie menschliche Beziehungen und damit auch Liebe nicht mit einem Handel. Nicht alles, was Sie in solche „investieren“, erhalten Sie zurück, und manchmal sind Sie hinterher um vieles ärmer. Möglicherweise aber auch um vieles reicher.
- Verwechseln Sie auch nicht Liebe mit Besitz.
- Verwechseln Sie nicht Emotionen mit Gefühlen. Liebe ist keine Naturgewalt, die einmal als Emotion über uns hereinbricht und wieder verschwindet, sondern ein Gefühl, das sich (ver)ändern und entwickeln kann.
- Anstatt von Liebe zu sprechen, sprechen Sie lieber von Zuneigung, Intimität, (körperlicher) Nähe, Gemeinsamkeit(en), Vertrauen, Überwindung der Fremdheit, Verschmelzung oder was sonst typisch für Sie und Ihre Beziehung ist oder sein soll.
Sollte Ihnen aber dennoch und trotzdem bei einem Menschen einmal nichts anderes als das Wort „Liebe“ einfallen, dann lieben Sie! Aber ohne die Irrtümer und Trugschlüsse, die wir versucht haben, hier aufzuzählen. Und schweigen Sie.
Weitere Verweise
- Sendungsseite zum Film „Yes No Maybe – ist Liebe nur eine Utopie?“ im Internet Archive
- SRF: „Ist Liebe nur eine Utopie? «Yes No Maybe» sagt ein neuer Dokfilm“ vom 19. November 2015 mit einer kurzen Vorschau des hier eingangs erwähnten Films
- ARD alpha: „Chemie der Liebe: Beim Küssen spielen unsere Hormone verrückt“ vom 6. Juli 2022
- Capital.de: „Liebe ist eine Frage des Geldes“ vom 3. Dezember 2019
Literatur
- Richard David Precht: Liebe. Ein unordentliches Gefühl; München 2009 (eine wertvolle Anthologie über die Geschichte des Liebesbegriffs)
Siehe hier auch
- Gleich und Gleich …
- Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (30) über den Valentinstag und darüber, warum man ihn (nicht) begehen sollte und wenn denn doch, dann wie
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