Tödliche Selfies
Über Selfies ist viel geschrieben worden. Dämlich, narzisstisch oder Kunst? Tatsache ist, dass durch die Selbstporträts mehr Menschen sterben als durch Haiangriffe. Der Autor macht sich angesichts zahlreicher tödlicher Unfälle seine eigenen Gedanken über diesen Trend. Tödliche Selfies also!
Inzwischen spricht man u. a. auch schon von Wefies (Selbstporträts zu zweit oder mit mehreren), Drelfies (Selbstporträts in betrunkenem Zustand) und Nudies (Selbstporträts in, nun ja, das lässt sich denken).
Dämlich, narzisstisch oder Kunst?
Dämlich, narzisstisch oder gar Kunst sollen (oder wollen) sie sein. Wer nun allerdings glaubt, dass Selfies in der Tradition der Künstlerselbstporträts der Renaissance stünden, irrt, denn die Kommunikationskanäle haben sich seitdem wesentlich verändert! Früher fertigten ausschließlich Künstler, eine mehr oder weniger privilegierte Schicht, Selbstbildnisse von sich an. Wer nun weiter daraus schließt, dass Selfies Kunst seien und damit, vermeintlich folgerichtig weitergedacht, jeder Mensch ein Künstler, macht sich gerade nicht zum Künstler, sondern zum Totengräber der Kunst. Was früher für die Ewigkeit geschaffen, wird heute allein deshalb produziert, um es im unmittelbaren Anschluss an seine Herstellung irgendwo zu veröffentlichen; vergleiche hierzu den (inzwischen leider nicht mehr verfügbaren) Essay von Daniel Hornuff auf SWR2: „Facebook, YouTube, Instagram. Ist heute jeder Mensch ein Künstler?“.
Tödliche Selfies
Womit wir vom Totengräber langsam zum tödlichen Aspekt der Selfies kommen, denn Tatsache ist, dass durch die Selbstporträts mehr Menschen sterben als durch Haiangriffe. In solchen Fällen lässt sich nur von dämlich oder dumm sprechen: tödliche Selfies eben! Dass es neben dieser Erfindung des modernen Zeitgeistes dann auch noch den sogenannten Selfie-Stick als verlängerten Arm gibt, um diese „Kunst“ zu perfektionieren, und dass jemand diese modernen digital-elektronischen Kommunikations- und Multimediageräte, eigentlich mal zum mobilen Telefonieren gedacht, kaum noch dazu verwendet, macht den Zeitgeist nicht erträglicher.
Die Liste der Selfie-Dummheiten ist lang!
Tödliche Selfies mit Bären, Klapperschlangen und Waffen
In den USA und vor allem in Kanada wollen sich Touristen in der Wildnis unbedingt mit dem Bären fotografieren, der gerade aufgetaucht ist — und werden von ihm angefallen! In den USA mussten bereits Nationalparks wegen der vermehrt auftretenden Selfie-Unsitte mit Bären geschlossen werden. Menschen haben sich bei Selfies mit Schusswaffen selbst erschossen — welch ein blutiges Selfie, falls es zustande gekommen sein sollte! In den USA lichtete sich ein Mann mit einer Klapperschlange ab, wurde von ihr gebissen — und konnte eine horrende Krankenhausrechnung berappen, nachdem die gesamten Vorräte an Gegengift, die in zwei Krankenhäusern lagerten, an ihm verwendet wurden: 153 161,25 US-Dollar (fast 140 000 Euro)!
Tödliche Selfies vor Zügen oder Abgründen
Menschen stellen sich auf Bahngleise und übersehen entweder den sich nähernden Zug oder suchen gerade den Bildausschnitt mit dem Zug im Hintergrund. Ebenso wie ein Selfie vor einem Abgrund enden solche oft tödlich. Die Liste der Dummheiten ist lang. Recht geschehen, möchte man diesen Opfern zurufen!
Dümmer als die Polizei erlaubt!
Inzwischen kommt es allerdings auch immer wieder vor, dass solche mobilen Kommunikations- und Multimediageräte gestohlen werden, die Diebe aber Selbstporträts von sich anfertigen und diese hochladen. Etwa ausgerechnet in die Cloud des rechtmäßigen Besitzers, wie kürzlich in einem Fall aus Hessen geschehen. Die Polizei hatte leichtes Spiel, die Diebe, die in diesem Fall Einbrecher waren, ausfindig zu machen!
Der Affe und die Selfies – wem gehört das Bild?
„Die Zeichen des Verfalls werden aber immer offensichtlicher“, schreibt der Sprachbloggeur in einem Eintrag vom 26. August 2014 und verweist auf den Fall des US-Fotografen David Slater, der einen Affen seine Kamera bedienen ließ:
Und siehe da! Der smarte Affe machte von sich bald ‚Selfies‘. Slater zeigte diese Affen-Bilder anschließend im Internet. Doch bald wurden sie gekapert und landeten in den sozialen Netzwerken, wo sie viral gingen. Um seine Rechte über die Veröffentlichung der Bilder zu schützen, zog der Fotograf nun vor Gericht. Das Gericht aber widerlegte seinen Anspruch mit der Begründung: Es gibt kein Copyright auf von Tieren angefertigten [sic!] Selbstporträts.
Im September 2015 reichten die Tierschutzorganisation PETA und Antje Engelhardt vom Deutschen Primatenzentrum eine gemeinsame Klage ein. Ihr Ziel: dem als Naruto benannten Tier die Urheberrechte zuzusprechen. Am 7. Januar 2016 wies das angerufene Gericht in Los Angeles die Klage ab. Weder der Affe noch Slater könnten nämlich Rechte an dem Bild beanspruchen.
Nachtrag vom 13. September 2017
Inzwischen hat sich die Wissenschaftlerin Engelhardt von PETA distanziert und von der Klage zurückgezogen, wie Der Tagesspiegel am 22. August 2017 schreibt. Der Prozess selbst endete mit einem Kompromiss, wie ebenso Der Tagesspiegel am 12. September 2017 mitteilt: „[D]er britische Fotograf [David Slater], dem die Kamera gehörte, [wird] 25 Prozent der Einnahmen an Einrichtungen weitergeben, die sich für den Schutz des natürlichen Lebensraums von Naruto und anderen Schopfmakaken auf der indonesischen Insel Sulawesi einsetzen.“
So viel bemühte Aufmerksamkeit der Medien war schon immer Gift für Modeerscheinungen, ein sicheres Zeichen, meine ich, dass das Wort bald nur noch lahm und peinlich klingen kann. Ein Wort, das nur Alternde noch wagen werden, über die Lippen zu bringen.
folgert der Sprachbloggeur.
Genug der medialen Aufmerksamkeit!
Nun, ich als Autor dieser Notiz weiß zwar nicht, wie alt der zitierte Autor ist. Aber nicht nur angesichts meines Alters, sondern auch und gerade der Unglücksfälle wegen, in die sich die Selbstporträtierer stürzen — und das kann man, wie wir gelesen haben, durchaus wörtlich nehmen! —, finde ich Selfies geradezu dämlich und peinlich narzisstisch. Mögen einige diese Unsitte auch für eine (moderne) Sitte oder gar für Kunst halten! Richten wir unsere mediale Aufmerksamkeit in diesen Notizen also in Zukunft auch lieber wieder auf wichtigere Themen als auf tödliche Selfies!
Nachtrag vom 6. Januar 2017
Im Tages-Anzeiger aus der Schweiz erschien am 30. Dezember 2016 ein Gespräch mit Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, zum Thema „Generation Selfies“ mit Anmerkungen auch zur Geschichte dieser Selbstporträts.
(Siehe hier beispielsweise auch „Einsamkeit und Alleinsein“ und „Privat“ oder Vom Ende der Intimität!)
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