Bolschewiken schuld an Corona?
Von diesen selbst ernannten „Querdenkern“ ist man viel Unsinn gewohnt. Aber dass Bolschewiken schuld an Corona sein sollen, erscheint mir doch sehr weit hergeholt und eine neue Stufe dieses Unsinns zu sein. Doch der Reihe nach.
Am gestrigen frühen Abend zog wieder einmal eine Schar von Anhängerinnen und Anhängern dieser Glaubensrichtung durch das Frankfurter Nordend. Was angesichts der Tatsachen, dass so gut wie alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht mehr gelten und eine Impfpflicht in weite Ferne gerückt zu sein scheint, seltsam genug ist! Sie zogen diesmal direkt vor dem Fenster meiner Erdgeschosswohnung vorbei. Ich schnappte mir also ein Schild mit der Aufschrift „QUERDENKEN“ („QUER“ rot ausgestrichen) und stellte mich damit ans offene Fenster. Manche klatschten höhnisch, manche lachten, viele guckten nur irritiert. Aber zwei Typen sind mir besonders aufgefallen.
Da war zum einen eine Art von Stimmungsmacher: ein kleiner Mann mit einem riesigen Lautsprecher inklusive Verstärker, wie man sie von Auftritten von Musikgruppen kennt, auf den Rücken geschnallt und einem Mikrophon in der Hand. Aus dem Lautsprecher schallten wechselweise Musik oder seine Parolen. Als er mich ansichtig wurde, unterbrach er die Musik. Stattdessen plärrte seine Stimme durch die Box. Als er merkte, dass diese auf die Demonstranten hinter ihm gerichtet war und nicht auf mich, drehte er sich um, um mich in voller Lautstärke zu beschallen. Ich hatte zwar nur irgendetwas von wegen „Tagesschau gucken“ verstanden, aber Beispiele dafür, wie Lautstärke Argumente ersetzt, kennen wir wohl alle. Er stellte ein weiteres und das zudem sehr plastisch dar.
Ein anderer Typ war interessanter. Schwarze, aber wohl nachgefärbte punkige Frisur, die Seiten fast ganz abrasiert, hielt er ein Schild mit einer Aufschrift in schwarzen Buchstaben hoch, die ich nicht lesen konnte, weil ich bald mein eigenes Schild vor mein Gesicht halten musste. Er wollte mich nämlich filmen! Alles, was ich auf seinem Plakat noch erhaschen konnte, war ein in Rot geschriebenes Wort: „Bolschewiken“ oder „Bolschewisten”.
Seitdem rätsele ich, was er uns wohl mitteilen wollte. Etwa, dass Bolschewiken schuld an Corona sind? Dass unsere Regierung aus Bolschewisten besteht, weil sie Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus anordnet? Gibt es solche überhaupt noch? Und wer benutzt denn heutzutage noch diese Wörter? Außer Neonazis und den sogenannten „Identitären“, was im Grunde das Gleiche ist, fällt mir niemand ein.
Aber Hauptsache, man hat der Welt seine Meinung mitgeteilt, ob diese sie hören oder lesen will oder nicht. Mag sie auch noch so „quer“ sein.
(Siehe auch dieses Bewegtbild von einer früheren „Querdenken“-Demonstration in Frankfurt: „fahrradfalko“ auf Twitter. [Datenschutzhinweis: Mit dem Anklicken des in diesem Beitrag vorhandenen externen Verweises auf Twitter erklären Sie sich mit der Datenweitergabe an Twitter, Inc., 1355 Market Street, Suite 900, San Francisco, CA 94103, USA, einverstanden! Die dort geltenden Datenschutzbestimmungen sind unter https://twitter.com/privacy?lang=de abrufbar.] und hier „Ohne Querdenker heute noch in der Steinzeit?“ und „Von Rechten und Beschränkten“!)
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