Trennung von einer Querdenken-Freundin
Unterschiedliche Meinungen über die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie reichen bis in Familien und Freundschaften hinein. Wenn jemand zu den selbst ernannten „Querdenkern“ abdriftet, man selbst aber weitgehend hinter den Maßnahmen steht, ist Kommunikation irgendwann unmöglich. Gestern habe ich meine Trennung von einer Querdenken-Freundin vollzogen.
Wir hatten uns etwa 2006 im Netzwerk Myspace kennengelernt. Nachdem wir viele Gemeinsamkeiten entdeckt hatten, der Austausch mit ihr außerdem sehr angenehm war, tauschten wir irgendwann auch unsere Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus. Seitdem schrieben wir uns regelmäßig, oft mehrmals täglich, und riefen uns zu besonderen Anlässen auch an.
Natürlich blieben Meinungsverschiedenheiten nicht aus. Vor allem politische Themen sorgten für tage-, manchmal auch wochenlange „Sendepausen“. Wir beide sind das, was man gemeinhin „streitbare Menschen“ nennt, was aber keineswegs mit „streitsüchtig“ zu verwechseln ist! Nach einer gewissen Zeit wurde der „Briefwechsel“ jedoch immer fortgeführt.
Sie war, ähnlich wie ich, politisch links angesiedelt. Ich weiter links, sie aber dafür in einer Gewerkschaft, einem Betriebsrat, in einer Menschenrechts- und einer Umweltschutzorganisation aktiv. Seit Beginn der „Corona-Krise“ aber begannen unüberwindbare Differenzen zuzunehmen. Unsere Ansichten standen sich plötzlich diametral gegenüber. Während ich eher nüchtern mit der Situation umging, begann sie immer mehr, an übelste und düsterste Verschwörungserzählungen zu glauben. Und mir diese geradezu auf die Nase zu binden! Auch den Ausdruck ihrer Angst und Warnungen davor, dass wir in einem faschistischen System leben und/oder darauf zulaufen. Nachdem aber in ihren E-Mails immer öfter Ansichten und Zitate auftauchten, die Faschismus durch Relativierung verharmlosten, reichte es mir endgültig. (Nebenbei bemerkt: Wie Ängste davor, dass wir uns in einem faschistischen System befänden bzw. darauf zuliefen, mit den Faschismus verharmlosenden Zitaten zu vereinbaren sind, können wohl nur Anhänger/-innen solcher verqueren Glaubensrichtungen erklären.)
Diese Differenzen führten bereits zu mehreren, auch langen Abbrüchen unseres Austauschs. Dass sie mir letzte Weihnachten tatsächlich ein Buch schenkte, nach dem „die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen“ (Klappentext), ließ mich noch ratlos zurück. Aber nach einem eigentlich harmlos beginnenden E-Mail-Wechsel, den sie irgendwann wieder nutzte, um mir ungefragt ihre Ansichten aufzudrängen, verfasste ich gestern eine letzte E-Mail an sie. Die Trennung von einer Querdenken-Freundin.
Du verwechselst hier etwas grundlegend, liebe […]: Nicht obwohl, sondern weil ich ein „sonst intelligenter Mann“ bin, sind mir deine Ansichten zutiefst suspekt! Und aus genau diesem Grund kann ich deine Ansichten auch nicht „einfach mal zu[r] Kenntnis […] nehmen und stehen […] lassen“! Zumal es dir nicht darum ging, sondern ums Missionieren und ums unbedingte Recht-behalten-Wollen.
Mag man über ihre Meinung über abbrechende Fernsehsendungen („Zensur“!) noch lachen und empfehlen, den Anschluss, den Fernseher, die Empfangseinstellungen, die Satellitenschüssel oder, bei Abruf über einen PC, die Wiedergabeeinstellungen zu prüfen, oder das für beginnenden Altersirrsinn halten, fällt das bei anderen Punkten wesentlich schwerer und macht eine Fortsetzung einer früheren Freundschaft tatsächlich unmöglich. [Sie schrieb, dass man Zensur nicht immer „merkt, wenn man mit dem Mainstream schwimmt“, und weiter: „Live Sendungen werden gecancelt, gerade dann wenn es spannend wird, aber manchmal auch schon ab Minute eins. Das merkt man natürlich nur, wenn man auch mal Filme oder Videos anguckt, die nicht bei bspw. ARD und ZDF laufen.“ Ihre weiteren Erklärungen dafür, warum manche Beiträge und Kommentare gelöscht werden und manche nicht, sind noch viel haarsträubender!]
Wer – und jetzt einmal völlig unabhängig davon, ob und wer und wann und in welchem Zusammenhang jemand das gesagt oder geschrieben hat! – ein Zitat verbreitet, in dem Faschismus mit Antifaschismus gleichgesetzt wird, hat jeglichen politischen (und moralischen!) Kompass verloren! [Gemeint ist das Zitat: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus.‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus.‘“ Näheres dazu hier: jungle.world: „Silones Warnung“.]
Auch ich als Linker bin mit vielem, was z. B. im Bereich „Cancel Culture“ passiert, nicht einverstanden. Aber Kritik daran gibt es auch unter Linken selbst – ein Zeichen dafür, dass es noch eine Diskurskultur unter Linken gibt. Unter einem Faschismus wäre eine solche nicht möglich. Wer aber Faschismus mit Antifaschismus gleichsetzt, ebnet den Weg zu Ersterem! Das ist genau das, was die AfD macht, nämlich „das Unsagbare sagbar zu machen“, indem sie ethische Grenzen immer weiter nach rechts verschiebt. Kein Wunder, dass rechte bis rechtsextreme Personen und Gruppen dieses wie auch das Arendt-Zitat so gern verbreiten! [Gemeint ist das bislang nicht verifizierte Zitat von Hannah Arendt: „Die größte Gefahr in der Moderne geht nicht von der Anziehungskraft nationalistischer und rassistischer Ideologien aus, sondern von dem Verlust an Wirklichkeit. Wenn der Widerstand durch Wirklichkeit fehlt, dann wird prinzipiell alles möglich.“]
Du kannst es nicht mehr abstreiten und behaupten, dass es dir wehtut, wenn man dich als „rechts“ bezeichnet. Du bist zutiefst rechts geworden! Dazu muss man übrigens nicht die AfD wählen. Laut vielen sogenannten „Mitte-Studien“ sind rechte bis rechtsextreme Einstellungen schon längst in der Mitte der Gesellschaft angelangt (siehe „Der Nazi in uns“)! Das bezeugen u. a. die selbst ernannten „Querdenker“. Wer mit (Neo)nazis auf die Straße geht und/oder deren Parolen und Zitate verbreitet und sie dadurch verharmlost, hat in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nichts zu suchen!
Finde dich damit ab, dass du nach zutiefst rechts abgedriftet bist; das macht es vielleicht leichter, damit umzugehen. Aber reden mit Rechten möchte ich nicht (mehr) (siehe „Mit Rechtsextremen reden?“)!
Ich wünsche dir (und uns allen!), dass du nie die reale Erfahrung machen musst, in einem Faschismus aufzuwachen!
Und Schluss.
Dass sie mich übrigens während der ganzen zwei Jahre der Pandemie über nur allenfalls einmal nebenbei gefragt hat, wie es mir währenddessen geht, mit den Maßnahmen, dem Lockdown, dem Tragen von Masken usw., ob ich geimpft bin und, falls ja, ob ich irgendwelche unangenehmen Auswirkungen verspüre, falls nein, warum nicht – geschenkt. Zu meiner Trennung von einer Querdenken-Freundin trug dies allenfalls am Rande bei.
(Siehe hier etwa auch „Bolschewiken schuld an Corona?“, „Von Rechten und Beschränkten“ und die Kommentare zu „Ohne Querdenker heute noch in der Steinzeit?“)
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