Nie wieder Xing!
Ich bin nicht mehr bei Xing. Seit in diesem beruflichen Netzwerk Hass und Hetze zunahmen, wurde es mir zunehmend zuwider. Nach vielen Jahren dort sage ich: nie wieder Xing!
Nie wieder Xing!
Seit mehreren Monaten bin in ich nicht mehr bei Xing. Immerhin war ich dort weit mehr als fünf, wenn nicht gar mehr als zehn Jahre. Genau kann ich das rückblickend nicht mehr sagen. Aber es ähnelte immer mehr einem anderen beliebten Netzwerk, das vornehmlich durch die Verbreitung von Hass und Hetze bekannt ist. Sie wissen schon: dem mit dem weißen f auf blauem Grund und das jetzt anders heißt.
Seit in diesem eigentlich beruflichen Netzwerk Hass und Hetze auch immer mehr zunahmen, wurde es mir zunehmend zuwider. Der gesellschaftliche Ton wurde immer übler, sprachlicher (und beruflicher!) Austausch fand immer weniger statt. Dann wurde ein zugegeben fremdenfeindlicher Kommentar von mir gelöscht und ich ausgeschlossen.
Ich erzähle Ihnen, wie es dazu kam. Eines steht allerdings fest: nie wieder Xing!
Xing: eigentlich ein berufliches Netzwerk. Eigentlich!
Xing ist eigentlich ein berufliches Netzwerk. Man kann dort beruflich interessante Kontakte knüpfen und sich über berufliche Belange austauschen. Hinzu kommen redaktionelle Beiträge über die Berufswelt sowie, falls erwünscht, ein Nachrichtenüberblick aus Medien und Bereichen, die man sich selbst zusammenstellen kann.
Es gab Gruppen zu bestimmten Schwerpunkten, die nach Anmeldung offen für eigene Beiträge gemäß des Ziels der Gruppe waren. So war ich beispielsweise in der Gruppe „Deutsch für Profis“, einer Typografie-Gruppe und in einer, in der sich gelernte Schriftsetzer/-innen und Drucker/-innen austauschen konnten. Doch all diese wurden von Xing mit der Begründung, sie verbrauchten zu viele Ressourcen, schon vor dem Ende meiner Mitgliedschaft eingestellt. (Siehe hierzu: XING FAQ: Informationen zur Abschaltung der XING Gruppen.) Was für zahlreiche Proteste bis hin zur Kündigung von Premium-Mitgliedschaften sorgte. Einige überlegten sich sogar, Xing ganz zu verlassen.
Natürlich kann man dort auch nach Stellen suchen, zudem kann man, je nach bei der Anmeldung angegebenem Beruf, Vorschläge erhalten. Und es gibt die persönliche Startseite. Hier beginnt das eigentliche Übel.
Die persönliche Startseite
Auf dieser persönlichen Startseite kann man eigene, auch nicht berufliche Beiträge einstellen, andere Beiträge, auch aus den Medien, verlinken oder auch einfach nur ein schönes Wochenende wünschen. Dort erfährt man Veränderungen bei seinen eigenen Kontakten und überblickt, welcher eigene Kontakt welchen Beitrag einer anderen Person kommentiert hat. Und wenn man das Glück (oder das Pech?) hat, dass die eigenen Kontakte eher links stehen, den Kampf gegen Hass und Hetze sowie gegen Falschmeldungen aufzunehmen und kräftig Widerworte zu geben bereit sind, bekommt man zwangsläufig auch diese Beiträge vor Augen.
Und diese wurden immer häufiger. Ein Stelldichein von Corona-Leugnern und Impfgegnern, Leugnern des Klimawandels und von Menschen, für die Grüne und Linke (und vor allem deren Politikerinnen!) für alles Übel auf der Welt verantwortlich sind. Von Verschwörungsgläubigen jedweder Couleur, Russland- und Putin-Freundinnen und -Freunden bis hin zur strammen AfD-Anhängerschaft und offen Rechtsextremen! Hinzu kam, dass irgendwelche selbst ernannten Heilpraktiker/-innen und Coaches ebenso jedweder Couleur wie Pilze aus dem Boden zu sprießen schienen. Leute, die oft auch noch als „offizielle Xing-Coaches“ geführt werden, obwohl ihnen aufgrund ihrer Beiträge nichts, aber auch gar nichts zuzutrauen ist!
So viel Dummheit auf einem Haufen!
Um es vorwegzunehmen: Ich habe selten so viel Dummheit auf einem Haufen gesehen. Eigentlich sollte man meinen, dass sich die Nutzer/-innen dieses Netzwerks von ihrer nicht nur beruflich besten Seite zeigen, aber Pustekuchen. Man gibt sich Blößen, wo man nur kann, wovon selbst Akademiker/-innen nicht gefeit sind. So dozierte etwa ein Doktor eines Fachgebiets über ein anderes, von dem er nicht die geringste Ahnung hat – und blamiert sich nach Kräften!
Es werden Falschmeldungen verbreitet, die sich mit wenigen Klicks widerlegen ließen – wenn deren Urheber/-innen sich vor dem Posten von solchen Beiträgen schlaumachen würden. Da wird dem Antisemitismus gefröhnt, ohne dass die Beteiligten unbedingt und grundsätzlich antisemitisch eingestellt sein müssen – aus purer Dummheit! Weil er gerade ein gutes „Argument“ zu sein scheint.
Irgendwann konnte ich häufig nicht mehr zu ernsthaften Gegenargumenten greifen, sondern nur noch zu Hohn und Spott; siehe etwa meine Antworten an selbst ernannte Querdenker.
Dass die Fähigkeit, adäquate Vergleiche zu ziehen, seit Jahren leidet, ist natürlich auch in diesem Netzwerk immer wieder zu beobachten. Ich möchte fast meinen: besonders hier.
Geistiges Verrenken
Diese Dummheit führt häufig auch zu geistigem Verrenken. Es ist abenteuerlich zu lesen, wenn Nutzer/-innen, für die Sozialismus oder gar Kommunismus Werke des Leibhaftigen sind, etwa staatliche Eingriffe in wirtschaftliche Bereiche fordern. So etwa, wie der bereits vorher erwähnte Doktor (nicht der Medizin!), in Krankenhäuser, die bekanntlich zumeist privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsunternehmen (!) sind. Während solche Eingriffe in viele andere Bereich natürlich strikt abzulehnen sind!
Ich habe mich hierbei immer gefragt, wie viele Drehungen und Wendungen so ein Hals resp. das Gehirn aushält, ohne Schaden zu nehmen. Doch der dürfte sozusagen „systemimmanent“ sein.
Mangelnde Moderation
Natürlich gibt es bei Xing auch ein Team vom Moderatoren. Unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit lassen diese jedoch viel zu viele Beiträge oder Kommentare durch, die offensichtliche Rechtsverletzungen darstellen. So blieb etwa ein Beitrag, der einen externen Verweis auf eine rechtsradikale Website enthielt, mit der Begründung stehen:
Kein konkreter Inhalt auf Xing ausgeschrieben. Die Prüfung des verlinkten Artikels obliegt nicht mehr unserer Verantwortung[.]
Beileibe kein Einzelfall!
Die Absurdität der Moderation
Mitunter führt die mangelnde Moderation (oder sollte ich hier auch von Dummheit sprechen?) auch zu völlig absurden Situationen. So löschte sie einen Kommentar von mir, mit dem ich „die Xing-Moderation und -Rechtsabteilung dringend um Prüfung [bat], ob der Kommentar des Herrn W. nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 erfüllt“. Die Begründung für die Löschung: „Beleidigung/Üble Nachrede/Verleumdung (§ 185 ff. dStGB, § 155 öStGB)“!
Ein Kommentar mit dem unfreundlichen Wortlaut „Opi, lass gut sein“ einer prinzipiell unfreundlichen Frau, um es harmlos zu formulieren, darf hingegen bedenkenlos stehen bleiben! Hier die Begründung, die die Xing-Moderation auch nach nochmaliger Prüfung aufrechterhielt: „Hier das Ergebnis unserer Prüfung: Das was Du gemeldet hast, ist unserer Einschätzung nach nicht strafrechtswidrig und erscheint daher weiterhin auf XING.“
Fake-Profile ohne Ende und Kontaktsammler
Aber die mangelhafte Moderation fängt schon bei der Auswahl neuer Xing-Mitglieder an. Selten so viele Fake-Profile auf einem Haufen gesehen! Dabei ließe sich häufig schon mittels weniger Klicks im WWW herausfinden, dass mit diesen etwas nicht stimmt. Entweder haben die angegebenen Firmen in der angegebenen Stadt überhaupt keine Niederlassung oder die Berufsbezeichnungen stimmen nicht. Die United Nations beispielsweise beschäftigen nun einmal keine Krankenschwestern!
So werden Sie als Nutzer/-in dieses Netzwerks immer wieder Kontaktanfragen solcher Fake-Profile erhalten. Die meisten nehmen sie auch noch bedenkenlos an.
Denn es gibt dort auch noch die Profilsammler. Sie werden häufig Kontaktanfragen von Menschen erhalten, von denen Sie nach der Bestätigung nie wieder etwas hören resp. lesen werden. Schauen Sie sich deren Profile und deren Kontakte einmal genauer an, wundern Sie sich nach der Ansicht von deren Anzahl nicht mehr. Dass sich darunter auch jede Menge solcher Fake-Profile befinden, wundert noch viel weniger.
Die „Sockenpuppen“
Eine besonders unrühmliche Rolle unter den Fake-Profilen spielen die sogenannten „Sockenpuppen“: Nutzer/-innen, die sich unter einem anderen (manchmal sogar unter demselben!) Namen ein zweites (oder gar drittes) Profil anlegen. Ziel ist es, die Reichweite der eigenen Kommentare zu steigern und ihnen mehr Nachdruck zu verleihen. Oft aber auch, um neben dem „seriösen“ Profil ungehindert vom eigenen beruflichen Umfeld stänkern zu können. Auch solche erkennt die Moderation oft nicht.
Meine Aussperrung
Unter all diesen Hetzern trat ab irgendeinem Zeitpunkt ein aus Polen stammendes und in Hamburg lebendes Xing-Mitglied auf den Plan, das durch besonders infame Beiträge hervorstach. Zudem begann er, vermutlich aus Rache für einen von Xing gelöschten eigenen Beitrag, unter seinen Beiträgen alle, aber auch wirklich alle kritischen Kommentare zu löschen.
Um ihn damit beschäftigt zu halten, gaben einige andere Nutzer und ich im Minuten-, teilweise sogar im Sekundentakt Kommentare ab, was jedoch keinerlei Erfolg zeigte. Es war genauso schnell.
Nachdem er unter einem Verweis auf einen Artikel aus der Medienübersicht einen wieder einmal höchst üblen Kommentar eingestellt hatte, reichte es mir und ich ließ mich zu einer fremdenfeindlichen Antwort hinreißen:
Und ich pisse auf jeden Immigranten wie die [K.s], die hier einwandern, um sich an unserer Politik abzureagieren!
Mit der Begründung (Zitat: Xing-Benachrichtigung):
Klare Beldeidigung [sic!] u. Diskrimierung [sic!] von Ausländern
wurde meine Antwort sofort gelöscht und ich gesperrt. Ich hätte „innerhalb von 2 Wochen“ bei Xing beantragen können, deren Entscheidung zur Entfernung des Inhalts mit der Angabe, warum ich der Meinung sei, „dass dieser Inhalt nicht strafrechtswidrig ist“, noch einmal zu überprüfen, wovon ich jedoch abgesehen hatte. (Nebenbei bemerkt: Die Erkenntnis, dass ich als jemand, der, wie am Nachnamen erkennbar, selbst einen sogenannten „Migrationshintergrund“ hat, „Ausländer“ beleidigen und diskriminieren kann, verdanke ich wenigstens auch Xing.)
(M)ein Leben ohne Xing
Inzwischen sind seit der Löschung meines Kommentars und meiner Aussperrung am 31. Oktober 2022 mehrere Monate vergangen. Zuletzt hatte ich dort täglich mehrere Stunden mit dem Kommentieren von Hass-Beiträgen und -Kommentaren, Falschmeldungen, Grünen- und Linken-Hetze, Frauen- und sonstigen Feindlichkeiten verbracht, und das oft bis in die Nacht hinein. Selbst am Wochenende. So etwa mit einem Software-Entwickler, der sich aus Angst davor, wegen der wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine möglichen Energieknappheit frieren zu müssen, geradezu „in die Hose machte“ und dies mittels fast bis zum Morgen anhaltender Kommentare kundtat.
Ich merkte erst nach einigen Wochen der zunächst unfreiwilligen Abwesenheit, wie sehr mich das nicht nur zeitlich belastet hatte. Auch psychisch! Dieser permanente Kampf gegen Dummheit, Hass und Hetze zieht irgendwann herunter. Er frisst Energien auf, die an anderen Orten sinnvoller eingesetzt sein könnten. Nur bemerkt man das zuerst nicht, wenn man sich noch mitten darin befindet.
Natürlich hatte ich bei Xing auch sehr nette Menschen kennengelernt. Solche, bei denen ich mir gut vorstellen konnte, sie auch einmal außerhalb dieses Netzwerks zu treffen, falls sich Gelegenheiten dazu geboten hätten.
Auch Sie werden dort hoffentlich auch solche Menschen kennenlernen. Doch für mich heißt es nun: nie wieder Xing! Und ich fühle mich inzwischen sehr wohl so.
Siehe auch
- Xing (soziales Netzwerk) in der Wikipedia
- Statistiken zu Xing bei Statista
- manager magazin: „Xing: Geplante Abschaltung der Gruppen empört Nutzer“ vom 20. August 2022
- Online Durchstarter: „Xing schafft Gruppen ab – der Anfang vom Ende?“ vom 11. August 2022
- Zu weiteren Beiträgen, die sich hier in diesen Notizen mit diesem Netzwerk und dessen Mitgliedern befassen, siehe alle Beiträge hierzu, außerdem etwa „Hass und Hetze im Internet“!
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