Mobbing
Von der Verhaltensforschung im Tierreich zur Schikane am Arbeitsplatz
Vor etwa 15 bis 20 Jahren hierzulande noch unbekannt, ist das Wort „Mobbing“ aus unserem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken. Zunächst nur in der Verhaltensforschung im Tierreich verwendet, erlangte es seine heutige Bedeutung erst spät. Doch woher kommt das Wort eigentlich?
Das Wort „Mobbing“ ist aus unserem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken. Doch woher kommt das Wort eigentlich?
Konrad Lorenz und das Wort „Mobbing“
Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz (* 1903 in Wien, † 1989 ebendort, österreichischer Verhaltensforscher und „Tierpsychologe“, erhielt 1973 zusammen mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie bzw. Medizin „für ihre Entdeckungen betreffend den Aufbau und die Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern“) verwendete den Begriff „Mobbing“ (vom Englischen to mob für „angreifen, anpöbeln, schikanieren“) schon in den 1960er-Jahren in seinem Buch „Das sogenannte Böse“. Damit bezeichnete er Gruppenangriffe von Tieren auf ein einzelnes Tier innerhalb einer Gruppe (um dieses aus der Gruppe auszustoßen) oder außerhalb (etwa von Gänsen auf einen Fuchs).
Peter-Paul Heinemann und Heinz Leymann
Der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann (* 1931 in Köln, † 2003 in Fellingsbro/Schweden, deutscher Arzt für Chirurgie und Radiomoderator in Schweden, wohin er vor der Judenverfolgung floh) gilt als Begründer der Mobbing-Forschung. Er übernahm dieses Wort seit etwa 1969 in seinen Untersuchungen über das Attackieren von einer von der Norm abweichenden Person durch eine Gruppe, besonders unter Schulkindern.
Erst der schwedische Arzt und Psychologe Heinz Leymann (* 1932 in Wolfenbüttel, † 1999 in Stockholm/Schweden, deutsch-schwedischer Betriebswirt, Diplom-Psychologe, Arzt für Psychiatrie und Professor im Bereich Arbeitswissenschaften in Schweden, gilt als Pionier der Mobbing-Forschung) übertrug den Begriff „Mobbing“ gegen Ende der Siebzigerjahre, zuletzt 1995, auf das Arbeitsleben, nachdem er entdeckt hatte, dass aggressives Verhalten gegen Einzelne nicht nur unter Schulkindern anzutreffen war.
Von Skandinavien in die Welt
Seine Forschungsergebnisse über das direkte und indirekte Angreifen von Personen am Arbeitsplatz erschienen zunächst in Skandinavien, wo sie schnell ein großes Interesse fanden, und später auch im mitteleuropäischen Raum. Dies mag der Grund dafür sein, dass sich das Wort „Mobbing“ nur in den skandinavischen und deutschsprachigen Ländern durchgesetzt hat.
Dan Olweus und das „Bullying“
Insbesondere in Großbritannien und Irland wird von in diesem Zusammenhang von „Bullying“ gesprochen, abgleitet von bully für „Tyrann“ und to bully für „drangsalieren, einschüchtern, schikanieren“. Der in Norwegen praktizierende schwedische Psychologe Dan Olweus (* 1931 in Nässjö/Schweden, † 2020 in Bærum/Norwegen, Psychologe und Professor für Persönlichkeitspsychologie), der sich mit der Gewaltproblematik an Schulen beschäftigte und Konzepte zu deren Prävention entwickelte, verwendete den Begriff „Bullying“. Damit wird hierzulande nur das aggressive Verhalten unter Schulkindern und Jugendlichen bezeichnet.
„Bossing“ und „Staffing“
Inzwischen sind auch die Wörter „Bossing“ für benachteiligendes und attackierendes Verhalten von Vorgesetzten gegenüber hierarchisch Untergeordneten und „Staffing“ für den gegenteiligen Fall bekannt.
Mobbing: Was gehört dazu?
Damit sind schon einige Wesensmerkmale genannt, die mobbendes Verhalten ausmachen. Im Weiteren gehören dazu:
- (sexuelle) Belästigung,
- Diffamierung und Diskriminierung,
- das gezielte Streuen von Gerüchten und Intrigen,
- (sexueller, emotionaler, sozialer und fachlicher) Missbrauch,
- Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede und Rufmord
- bis hin zu Sabotage oder körperlicher Gewalt.
In Deutschland existieren — im Gegensatz etwa zu Schweden, Frankreich oder Spanien, wo Arbeitsgesetze wesentlich schärfer angelegt sind — noch keine Gesetze gegen Mobbing am Arbeitsplatz. Daher müssen zur juristischen Verfolgung erst Nachweise erbracht werden. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass nicht jede gefühlte Mobbing-Attacke juristisch relevant ist. Soziale Isolation, das Vorenthalten von Informationen, intensive Kontrolle oder kleinliche Kritik stellen beispielsweise noch keine Straftatbestände dar! Auch unhöfliche und grobe Umgangsformen von Vorgesetzten sind laut einem Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2007 (Az.: 7 Ca 5101/06) noch kein Mobbing. Ein Urteil, das allerdings nicht nur von Mobbing-Selbsthilfegruppen heftig kritisiert wird!
Trotzdem: Nach Schätzungen werden allein in Deutschland weit über eine Million Menschen am Arbeitsplatz gemobbt. Doch nur ein kleiner Schritt vom Tierreich zum Menschen?
Weitere Verweise zum Thema Mobbing
- Leymann.se: Leymann in English
- Fairness-Stiftung gem. GmbH, dort besonders die Instrumente der Unfairness
- Internetratgeber Recht, dort auf „Mobbing am Arbeitsplatz“
- Mobbing-web.de: Mobbing: 1. Hilfe gegen Mobbing am Arbeitsplatz – Netzwerk
(Zuerst veröffentlicht unter dem nicht mehr existierenden Portal Jobfort.de — Leben und Arbeiten in Frankfurt. Siehe hier beispielsweise auch „Kündigung mit Freistellung“.)
Pingback:Das Peter-Prinzip – Ronalds Notizen
Nachtrag, zufällig gefunden: Onlinezeitung24.de: „Immer mehr Journalisten widmen sich dem Thema Mobbing.“
Da uns genetisch nur 2 % vom Menschenaffen unterscheiden sollen, kann man wohl mit Recht sagen, dass uns nicht allzu viel von der Tierwelt unterscheidet. Obwohl, Tiere sind oft menschlicher…
Es gibt immer noch Menschen, die meinen, dass ihnen dergleichen nicht passieren kann und glauben sich in Sicherheit. Mögen sie es nie erleben.
In Zeiten, in denen immer mehr Menschen
– um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen und vor allem auch darum,
– jemals wieder einen neuen zu bekommen, oder
– mit jüngeren Zeitarbeitskräften konkurrieren
gibt es immer wieder Entgleisungen, die bis zum Mobbing reichen, ganz davon abgesehen, dass es auch vertikale Mobbingformen gibt (Chef Mitarbeiter).
Dass (horizontales) Mobbing möglich ist, ist m.E. auch Folge häufiger Inkompetenz in Personalführung auf mittlerer und höherer Ebene.
Neuer Nachtrag: Ein sehr engagiertes Blog zum Thema mit vielen aktuellen Fällen findet sich auch unter Die-aktuelle-Antimobbingrundschau, wenngleich wenn die Schreibung mit Bindestrichen gewöhnungsbedürftig ist.
Übrigens hatte ich früher selbst einen Mobbing-Fall gegenüber meiner Arbeitskollegin. Nach Meldung an meinen Vorgesetzten durch mich, weil sich meine Kollegin nicht traute (sie war völlig fertig mit den Nerven und weinte sogar, als sie mir davon berichtete!), und nach dessen Vorsprechen bei der Geschäftsleitung wurde der mobbende Mitarbeiter ganz schnell versetzt. Es kann also nur geraten werden, Fälle von Mobbing nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern Maßnahmen dagegen zu ergreifen!
Passend zum Thema:
Was sagen die Gerichte zum Thema Mobbing? im Online Netzwerk Lernen
Man soll nicht so schnell von Mobbing reden, weil die „Untaten“ mindestens ein halbes Jahr regelmäßig vorkommen müssen (man stelle sich vor, was das für das Opfer bedeutet), aber:
Selbst wenn nach o.g. Begriffsbestimmung der Tatbestand des Mobbings (noch) nicht erfüllt ist, besteht Handlungsbedarf, wenn durch Konfliktsituationen der Betriebsfrieden gestört ist.
Die Anfänge sind häufig schleichend und werden von den Betroffenen oftmals nicht bewusst registriert. Erste Mobbing-Anzeichen können das plötzliche Verstummen von Gesprächen bei Betreten des Raumes oder das Lächerlichmachen vor Kollegen und Vorgesetzten sein. Nicht die einzelnen kränkenden Handlungen gestatten die Bezeichnung Mobbing, sondern es ist vielmehr die Summe eines alltäglichen Verhaltens in Form der berühmten kleinen Nadelstiche, die über einen längeren Zeitraum (mindestens einmal pro Woche über ein halbes Jahr hinweg) systematisch und wiederholt auftreten.
Je länger eine Konfliktsituation ignoriert wird, desto mehr besteht die Gefahr, dass sie sich zu einem Mobbingprozess ausweitet. Auch kann es bereits im Vorfeld, bei Streitigkeiten und anhaltenden Konfliktsituationen, zu Leistungsminderung und erhöhten Fehlzeiten kommen.
Pingback:Rachepornos: zum Opfer geworden? – Ronalds Notizen
Pingback:Keine Karriere machen – Ronalds Notizen