Kinderwagen oder Die „neuen Mütter“?
Manche Frauen schieben ihren Kinderwagen wie einen Puppenwagen. Wie sie als kleines Mädchen stolz einen Puppenwagen mit einem leblosen Kind, einer Puppe, vor sich herschoben, schieben sie nun einen Wagen mit einem lebenden vor sich her. Ihr stolzer Blick indes hat sich nicht geändert.
Es scheint, als würden Frauen schon als Kind dafür hergerichtet – oder klingt „erzogen“ unverfänglicher? –, Puppen zu mögen. (Von „lieben“ kann in diesem Alter noch nicht die Rede sein. Aber das sei hier nur am Rande bemerkt.) Diese also zu kämmen, zu kleiden und vieles mehr. Mit einem leblosen Gegenstand, einem Spielzeug, wird trainiert, was ihre spätere Bestimmung sein wird. Nämlich diesen leblosen Gegenstand durch einen lebendigen zu ersetzen und mit ihm das zu machen, was sie vorher schon mit der Puppe trainiert haben. Und nun schieben sie wie ein großes kleines Mädchen ihre Puppenwagen vor sich her, der nun ein Kinderwagen geworden ist.
Manchmal sind diese Mädchen, die nun Frauen geworden sind, auch zornig, wenn sie einem z. B. wie eine unbeirrbare Dampfwalze auf dem Bürgersteig entgegenkommen, der noch nicht einmal sehr schmal sein muss. Schlimmer noch, wenn es gleich zwei sind, die ihre Kinderwagen nebeneinander vor sich herschieben. Oder, die mobilere Variante, mit einem Fahrrad und einem Kinderanhänger. Alles natürlich auch auf dem Bürgersteig! In diesen Fällen kann man sich meist nur noch gegen eine Hauswand oder einen Zaun pressen, so zornig und stolz sind diese Mädchen, die nun Frauen geworden sind. Gerade fährt wieder eine solche mobile Mutter auf dem schmalen Fußweg hier vor dem Fenster vorbei — und man ist froh, ihr dort nicht zu begegnet zu sein.
Oft auch wird das Kind, gern auch mehrere, in einen hochrädrigen, teuren, viel Benzin schluckenden, immer pieksauberen und meist schwarzen geländegängigen Kraftwagen gepackt. Und auf einem Fußgängerübergang oder an einer Straßenecke, wo man gerade selbst die Straße überqueren möchte, geparkt! Dort warten sie in Kindersitzen, bis die Mutter ihre Einkäufe, bevorzugt im Bio-Markt, erledigt hat. Wahrscheinlich schob sie den Kinderwagen früher auch wie einen Puppenwagen vor sich her. Oder sie parken sowohl Fahrbahn als auch Fußwege bis in einen Park hinein zu, wenn sie alle zur gleichen Zeit ihre Sprösslinge aus einer Privatschule abholen. Helikoptermütter, so heißen sie heute. Wie treffend, nur dass der Hubschrauber in den meisten Fällen ein hochrädriger, teurer, viel Benzin schluckender, immer pieksauberer …
Aber sie können auch sehr zornig werden, etwa dann, wenn man sie auf ein Defizit ihrer Erziehung(smethode) hinweist. Nachdem der Autor, lesend auf einer Parkbank sitzend, bemerkte, dass so ein kleiner Wicht seit Minuten zugange war, einen Abfluss, der eigentlich Regen- und Schmelzwasser ableiten soll, mit dem Split des Wegs zuzuschaufeln, fragte er diesen, ob er noch alle Tassen im Schrank habe. Wobei die Frage eher an seine Erzeugerin auf der Nachbarbank hätte gerichtet werden müssen. Mangelnde Aufsichtspflicht und so, obwohl sie das Treiben wohlwollend beobachtete. Nun startete jene eine Schimpfkanonade, um abschließend Klein-Sohnemann mit den Worten „Komm, wir gehen auf den Spielplatz“ an der Hand zu nehmen und zu verschwinden. Den Autor ratlos zurück- und schlechtes Gewissen hinterlassend. Wahrscheinlich schob sie als Kind auch …
Echt und ganz sehr zornig werden sie jedoch dann, wenn man sie an ihrem Stolz und an ihrer Ehre, nun echte und nicht mehr Puppenmutti zu sein, packt. So saß der Autor mit mehreren Leser/-innen auf einer der von der Nachmittagssonne beschienenen Bänke und las, als eine dieser Mütter sich auf einen Baumstamm gleich hinter dieser Bank setzte, um, nur zu verständlich, ebenso an den letzten Sonnenstrahlen teilhaben zu wollen. Weniger verständlich war allerdings, dass sie ihren Sprösslingen nun unbedingt etwas laut vorzulesen begann. Und das nur wenige Zentimeter hinter des Autors und der Banknachbarn Ohren! Sie ahnen: Man kann sich nicht mehr auf seinen eigenen Lesestoff konzentrieren. So erging es natürlich auch all seinen Banknachbarn. Ein zumindest innerliches Aufstöhnen machte die Runde, wie der Autor aus den Augenwinkeln bemerken konnte.
Allein: Sie kannte keine Gnade, jedenfalls nicht gegenüber all den lesenden Menschen direkt vor ihr! Nach mehreren erfolglosen Versuchen, sich wieder auf seinen eigenen Lesestoff zu konzentrieren und den der vorlesenden Mutter zu ignorieren, bat er sie höflich, doch, bitteschön, auf die anderen Leser/-innen und ihn Rücksicht zu nehmen und sich anderswo hinzusetzen, falls sie denn mit dem lauten Vorlesen fortfahren wolle. Zumal alle schon lange vor ihr anwesend waren! Was glauben Sie, was darauf los war? Der Autor, seine Nachbarn, die Zöglinge natürlich auch, mussten einen lauten und längeren Monolog über die (zugegeben) wertvolle pädagogische Eigenschaft des Vorlesens über sich ergehen lassen! Bevor sie, mindestens ebenso entrüstet wie die Erzieherin im vorigen Beispiel, schlechtes Gewissen hinterlassend abrauschte. Wahrscheinlich schob sie als Kind …
Nach diesen und vielen weiteren Erlebnissen mit Müttern, die einem auf Beschwerden äußerst gern auch noch Kinderfeindlichkeit vorwerfen (obwohl es doch meist kaum gegen die Kinder, sondern eher gegen sie und ihre Erziehungsmethoden geht!), erinnert sich der Autor an seine eigene Mutter, seine Erziehung und Kindheit und denkt sich: Aha, dies sind wohl und also die „neuen Mütter“!
(Siehe hier auch „Mein Stadtteil: das Frankfurter Nordend“ und „Arme Radfahrer!“)
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