Mehr Interesse an Statistiken als an Menschen
Nun haben wir es also amtlich: Der Bundesrechnungshof bescheinigt der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass sie mehr Interesse an Statistiken als an den zu betreuenden Menschen hat. Es wird inzwischen nur noch in Zeit- bzw. Leiharbeit, sinnlose Arbeitsgelegenheiten oder Bewerbungstrainings vermittelt. Die Mitarbeiter der Jobcenter müssen eine Vermittlungsquote erfüllen. Als hätten wir, die Arbeitslosen, es nicht schon geahnt!
Wie die Jobcenter ein Leiharbeitsbranchenförderprogramm betreiben
Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, dass Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: wer die Butter hat, wird frech.
(Kurt Tucholsky in: Die Weltbühne, 14. Oktober 1930, Seite 597)
Laut der Meldung „Viele schlechte Noten“ im Wirtschaftsteil der Frankfurter Rundschau vom 26. Juni 2013 bescheinigt ausgerechnet der Bundesrechnungshof der BA, dass sie mehr Interesse an Statistiken als an den zu betreuenden Menschen hat. Bereits vorher hatte das Fernsehen des Hessischen Rundfunks (HR) in der Reportage „Zeitarbeits-Boom. Wie Arbeitsagenturen einer Branche helfen“ für das Marktmagazin „m€x“ aufgedeckt, dass „die Arbeitsagentur mehr in Leiharbeit als in reguläre Beschäftigung“ vermittelt. „Im Grunde hat die Bundesagentur ein Leiharbeitsbranchenförderprogramm aufgelegt, ohne es so zu nennen“, so der Arbeitsmarktexperte Dieter Döring laut HR. Und wenn nicht in Zeitarbeit vermittelt wird, dann in sinnfreie Bewerbungstrainings oder Arbeitsgelegenheiten mit („Ein-Euro-Jobs“) oder ohne Mehraufwandsentschädigung.
Glaubt man den Leserbriefen zum Rundschau-Artikel, geht dies sogar so weit, dass ein hoch ausgebildeter Akademiker mit Bachelor-Abschluss in Zeitarbeit vermittelt wurde, bei der er Bahnschwellen herstellen und danach bei einem Paketversand unter Zeitdruck Lieferwagen beladen und schließlich wegen körperlicher Beschwerden arbeitsunfähig geschrieben werden musste, oder einem Analphabeten ein Bewerbungstraining angeboten wurde, bis dort nach drei Tagen bemerkt wurde, dass er weder lesen noch schreiben konnte. Der Autor selbst kann solche Lesermeinungen bestätigen: Vor nicht langer Zeit wurde er von seiner „persönlichen Ansprechpartnerin“ seines zuständigen Jobcenters, die er bis dato noch nicht kannte, weil er bis kurz vorher noch in Arbeit war, in eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung mit dem hochtrabenden Titel „Stadtteil- und Kulturarbeit“ einer auf solche Maßnahmen der Jobcenter spezialisierten (und gemeinnützigen!) Firma vermittelt, zu der auch ein älterer Kollege aus einem der Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion zugeteilt wurde, dem es an elementarsten Deutsch- und zudem an ausreichend Computerkenntnissen mangelte. Sämtliche Teilnehmer dieser völlig aufgeblasenen Maßnahme bezeichneten diese im Übrigen selbst als Verschwendung von Steuergeldern, für die sie sich eigentlich schämen müssten! Die vielen Bewerbungstrainings, die der Verfasser im Lauf seines Lebens bereits absolviert hat, kann er schon gar nicht mehr zählen.
Aber Hauptsache, die Angestellten der Jobcenter haben jemanden erfolgreich vermittelt und so aus der Arbeitslosenstatistik entfernt, und wenn es nur für wenige Monate ist! Laut dem Bericht des HR haben sie, meist selbst befristet eingestellt und daher kaum eingearbeitet, bestimmte Vermittlungsquoten einzuhalten. Echte weiterbildende Maßnahmen werden nicht bewilligt, obwohl die Mittel dafür nicht ausgeschöpft sind, stattdessen eben in Leiharbeit oder in auf Beschäftigungsmaßnahmen wie Bewerbungstrainings spezialisierte Unternehmen, die wie Pilze aus dem Boden schießen und sich damit goldene Nasen verdienen, vermittelt!
Aber haben wir nicht bereits irgendwie geahnt, dass die Hartz-IV-Reform längst aus dem Ruder gelaufen ist?
Weitere Verweise zum Thema:
tagesschau.de: „Hintergrund Leiharbeit: Ausgenutzt und schlecht bezahlt“ vom 22. Februar 2013 mit einem Abschnitt zur Rolle der BA
Ronalds Notizen: „Fördern und Fordern“ und „Azubi oder Praktikant?“
Pingback:Jobcenter – eine zutiefst verachtenswerte Institution – Ronalds Notizen
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