Von angeblichen Vergewaltigungen bis zu Beinahe-Atomschlägen
Angebliche Vergewaltigungen, ein Kinderpornoring, der nicht existiert, bis hin zum Beinahe-Atomkrieg: alles Fake-News. Dieses Schlagwort sorgt zurzeit für Gesprächsstoff. Nicht nur Donald Trump hat sein Lieblingswort gefunden. Und hierzulande werden für die kommende Bundestagswahl massenweise Falschmeldungen befürchtet, die deren Ausgang beeinflussen könnten. Dabei handelt es sich meist um Lügen. Nennen wir sie auch so!
Über die (Aus)wirkungen von Fake-News und was der Begriff bedeutet
In einer vor Kurzem im Internet kursierenden Meldung wurde der israelische Außenminister Mosche Jaalon mit der Aussage zitiert, dass man Pakistan nuklear zerstören wolle. Darauf drohte dessen Verteidigungsminister Israel mit einem nuklearen Gegenschlag. Nach hektischem diplomatischen Hin-und-Her erwies sich die Meldung als falsch: Jaalon ist schon seit Mai 2016 nicht mehr im Amt! Am 4. Dezember 2016 dringt ein Mann, bewaffnet mit Sturmgewehr und Pistole, in eine Pizzeria in Washington ein. Rechtsgerichtete US-Portale wie Breitbart.com behaupteten, dass Hillary Clinton von dort aus einen Kinderpornoring lenke. Längst vorher hatte die Polizei bereits mitgeteilt, dass diese Meldung jeder Grundlage entbehrt, aber zum Glück wurde bei der Schießerei niemand getroffen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin kursierten in tschechischen sozialen Medien Berichte aus angeblichen Polizeiquellen, dass der Attentäter von Prag aus gesteuert wurde. Ein Video, das angeblich die Vergewaltigung einer Tschechin durch Ausländer dokumentiert, wurde vor einiger Zeit auch hier landesweit verbreitet, wobei mitunter behauptet wurde, dass es sich um eine deutsche Frau handele. Das Video aus einer Überwachungskamera zeigt, wie drei junge Männer eine Frau festhalten, sie zu Boden drücken und bedrängen. Als die Polizei eintrifft, flüchten die Männer. Das Video ist zwar echt, der Zusammenhang aber falsch, denn tatsächlich zeigt es einen Streit unter Kleinhändlern im Drogenmilieu. Ohne Ausländer!Um nur eine kleine Anzahl von Falschmeldungen zu nennen, die nach der angeblichen Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin im Januar 2016 für Furore sorgten.
Fake-News dienen der Beeinflussung
Nicht nur Donald Trump hat sein Lieblingswort: Fake News. Meist sieht er sich als deren Opfer, aber er selbst schickte tausende tendenziöse Tweets und seine engsten Berater betreiben Fake-News-Portale. Angeblich soll sogar Papst Franziskus den Wählern Trump empfohlen haben, was in Wirklichkeit natürlich nicht der Fall war! Die nicht nur hierzulande zahlreich auftauchenden Falschmeldungen über Asylsuchende gehören zum Repertoire einer fremdenfeindlichen Fake-News-Strategie, die der politischen Beeinflussung dienen soll.
Falschmeldungen gibt es schon immer
Früher schlicht als Falschmeldung oder (Zeitungs)ente bezeichnet, ist daraus nicht nur ein zurzeit viel gebrauchtes Modewort zur Beschreibung eines neuen Phänomens, sondern geradezu ein Kampfbegriff geworden. Nicht nur in den Auseinandersetzungen um den Bald-Präsidenten Trump in den USA, sondern längst auch hierzulande, denn für die kommende Bundestagswahl werden massenweise Falschmeldungen befürchtet, etwa solche, dass bestimmte Wahllokale geschlossen seien.Die Wortschöpfung wurde im Sommer 2016 populär. Erst beschrieb Fake News (eingedeutscht in einem Wort, also: Fakenews, oder mit Bindestrich, wie hier auch im Weiteren so gehandhabt) das Phänomen, dass Lügengeschichten besonders auf Facebook Millionen Menschen erreichten. Dann galten Fake-News als ein Grund für den Wahlsieg Trumps. Und nun, ein paar Wochen später, ist „Fake-News“ ein politisches Schimpfwort, das kaum noch zu greifen ist. Zudem ist geradezu ein Glaubenskrieg entstanden: Was für die einen die „Lügenpresse“, sind für die anderen Fake-News.
Das kommerzielle Interesse an Fake-News
Kommerziell sind Falschmeldungen durchaus im Interesse von Facebook, denn dieses basiert auf dem Verhalten der Nutzer. Eine hohe Verbreitung der Inhalte, also eine hohe Zahl von Likes, Kommentaren und Shares, generiert hohe Werbeeinnahmen. Im Gegenzug „belohnt“ Facebook die Urheber mit noch mehr Reichweite. Der Algorithmus betreibt dabei keine Unterscheidung, ob die Inhalte wahr oder falsch sind. Inzwischen haben die neuen Trolle, Sockenpuppen und Bot-Netze ihr Angebot auf den Erfolgsprinzipien dieses Netzwerks aufgebaut: Plattformen und Portale gründen sich und nehmen sich genau dieses Geschäftsmodell zum Vorbild. Immerhin hat das Netzwerk Facebook zugesagt, einen Fake-News-Filter in Deutschland einsetzen zu wollen.Doch was genau bedeutet der Begriff eigentlich?
Was sind eigentlich Fake-News?
Wenn Falschinformationen absichtlich produziert und gestreut und dabei so komponiert werden, dass sie die Logiken der sozialen Netzwerke ausnutzen, kann man von Fake-News sprechen. Wie leicht oder schwer sie als solche zu entlarven sind, spielt für deren Verbreitung keine Rolle. Die Interessen, die dahinter stehen, sind politischer und/oder auch finanzieller Natur, aber es steckt immer ein propagandistisches Ziel dahinter. Gern behandelte Reizthemen sind Flüchtlinge, Kinder und deren Missbrauch, Krieg und Frieden. Mit ihnen lässt sich Verunsicherung schaffen, aber auch eine politische Beeinflussung. Es ist erschreckend, wenn laut einer WDR-Studie ein Fünftel der Deutschen den Begriff „Lügenpresse“ im Zusammenhang mit Medien für richtig hält, und noch erschreckender, wenn genau dieses Fünftel anfällig für Falschmeldungen ist, die sie in ihrem (meist rechten) Gedankengut bestätigen!
Nennen wir Fake-News was sie sind
Die Grenzen zwischen einem Scherz, extremer Zuspitzung, Verzerrung und einer (bewussten) Falschmeldung sind dabei jedoch oft fließend. Daher fordern Journalisten und andere Medienschaffende bereits, den Begriff abzuschaffen und stattdessen von einem Hoax (englisch für Jux, Scherz, Schabernack, aber auch Schwindel), einer Verschwörungstheorie oder gar direkt von Lügen zu sprechen. Denn so wie der Begriff „Holocaust“ für den gezielten Massenmord an Juden einen nur umschreibenden, aber keinen das eigentlich Unfassbare wirklich greifenden Charakter hat, ist „Fake-News“ geradezu verschleiernd für das, was sie in Wirklichkeit meist sind, nämlich Lügen. Nennen wir sie auch so!Außerdem sei allen (Möchtegern-)Journalisten der Pressekodex des Presserats zur dringenden Lektüre empfohlen!
Quellen und weitere Verweise
Fabian Reinbold, SPIEGEL ONLINE: „Propaganda in der Ära Trump. Die Wahrheit über Fake News“ vom 12. Januar 2017
Fabian Reinbold, SPIEGEL ONLINE: „Fake News. Deutschland fürchtet die Lügenschleudern“ vom 14. Januar 2017 mit einer Anleitung, wie sich Fakes enttarnen lassen,
Rayk Wieland, Das Erste, ttt – titel, thesen, temperamente: „Alles Lüge. Über den Umgang mit gefälschten Nachrichten“ vom 15. Januar 2017,
Markus Reuter, Netzpolitik.org: „Fake-News, Bots und Sockenpuppen – eine Begriffsklärung“ vom 29. November 2016,
Tin Fischer: „Wie verbreitet ist Fake News wirklich?“ vom 16. Januar 2017.
Hier werden Falschmeldungen gesammelt:
HOAXILLA, „der skeptische Podcast aus Hamburg“,
Hoaxmap, „Neues aus der Gerüchteküche“,
mimikama, „internationale Anlaufstelle und Verein zur Aufklärung über Internetbetrug, Falschmeldungen sowie Computersicherheit und zur Förderung von Medienkompetenz“.
Siehe auch bei „Setzfehler: „In der Wortwahl vergriffen: rechte Sprache in den Medien““ vom 1. Dezember 2016 und hier beispielsweise „Die AfD: wirre Anfragen und Mitteilungen“ vom 24. November 2016 und „Radfahrer, Hunde und die deutsche Republik“ vom 7. Januar 2017 darüber, wie man eine Nachricht auslegen kann!
(Dieser Beitrag erschien zuerst am 17. Januar 2017 bei Setzfehler: „Was sind eigentlich Fake-News?“ und wurde für diese Notizen leicht editiert.)
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