Heldenplatz. Über (Neo)nazis und Juden
Der Heldenplatz ist ein historischer Platz in Wien. Er gehört zur Hofburg, dem Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten. Mit dem Platz verbunden ist der Ballhausplatz mit dem Bundeskanzleramt und der Bundespräsidentschaftskanzlei. Das politische Machtzentrum Österreichs also.

Ansprache Adolf Hitlers am 15. März 1938 auf dem Heldenplatz in Wien (Bundesarchiv, Bild 183-1987-0922-500/ CC-BY-SA 3.0)
In diese Zeit fiel auch die umstrittene Wahl Kurt Waldheims zum österreichischen Bundespräsidenten. Sie erinnern sich? Waldheim hatte seine Tätigkeit als Offizier der Wehrmacht von 1942 bis 1944 in seinen biografischen Angaben ausgelassen und nach deren Bekanntwerden jede Beteiligung an NS-Verbrechen sowie jegliche Kenntnis von solchen bestritten. Eine Historikerkommission entlastete ihn zwar teilweise, doch infolge der „Waldheim-Affäre“ diskutierten seine Landsleute erstmals offen die Beteiligung von Österreichern an Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Opfermythos, wonach Österreich 1938 „erstes Opfer Adolf Hitlers“ gewesen sei und mit Berufung auf die Alliierten in der Unabhängigkeitserklärung 1945 und im Staatsvertrag 1955 als Gründungskonsens verankert, ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Man erinnere sich nur einmal an die Tausende von erhobenen rechten Arme bei Hitlers Rede an des österreichische Volk! Alles Opfer?

Die „Nacht des Schweigens“ am 12. März 2008 auf dem Heldenplatz. In Erinnerung an den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 70 Jahre zuvor wurden 80.000 Kerzen für die rund 80.000 namentlich bekannten österreichischen Opfer der NS-Regimes entzündet und ihre Namen während der ganzen Nacht auf vier Leinwände projiziert. (Manfred Werner/ Tsui/ Wikimedia Commons)
Doch zurück zum Theaterskandal um „Heldenplatz”. In dem Stück geht es um eine jüdische Familie, die direkt am Heldenplatz wohnt. Eins der Familienmitglieder, Josef Schuster, Mathematikprofessor an der Universität Wien, stürzt sich 1988 aus dem Fenster, worauf die verbliebenen über den Verstorbenen und ihre eigene Lebenssituation resümieren. Bereits 1938 war die Familie emigriert und alle sind mit Opfern des Holocaust verwandt. Ausgangspunkt des Skandals war u. a. die „Kronen Zeitung“, ein Blatt ähnlich der „Bild“ hierzulande. Sie hatte bereits vor der Premiere (unautorisiert!) Textauszüge abgedruckt, wobei diese als Bernhards persönliche Meinung (!) ausgegeben worden waren. Es handelte sich um Sätze wie:
Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreißig / jetzt kommen sie wieder / aus allen Löchern heraus / die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind / sie warten alle nur auf das Signal / um ganz offen gegen uns [gemeint sind Juden; der Autor] vorgehen zu können.
Der Judenhaß ist die reinste, die absolut / unverfälschte Natur des Österreichers.
Sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige [gemeint sind Österreicher; der Autor] / die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien / Der Regisseur wird kommen / und sie endgültig in den Abgrund hinunterstoßen / Sechseinhalb Millionen Statisten / die von ein paar verbrecherischen Hauptdarstellern / die die Hofburg und den Ballhausplatz bevölkern / an jedem Tag vor den Kopf / und am Ende doch wieder nur in den Abgrund gestoßen werden.
Nun, der Regisseur in Person von Thomas Bernhard kam – und mit ihm der Skandal! Wobei und um es nur ganz nebenbei zu erwähnen, es sich nicht um den einzigen Skandal handelte, den Bernhard ausgelöst hatte.
Ausgerechnet auf diesem Heldenplatz wiederum haben nun vermutlich neue Nazis eine Freiluft-Ausstellung zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verfolgung beschädigt. Ein neuer Skandal! „Schon wenige Tage nach Eröffnung der Ausstellung hatten Unbekannte mehrere der Tafeln mit Messern beschädigt, in der vergangenen Woche wurde dann ein Teil der Ausstellung mit Hakenkreuzen beschmiert“, meldete Spiegel Online am 27. Mai 2019.
Was lernen wir bzw. (einige wenige?) Österreicher aus alledem?
Offensichtlich nichts.
(Siehe auch die österreichische Publizistin, Kulturkorrespondentin und Literaturkritikerin Sigrid Löffler in DER SPIEGEL 42/1988: „Hinaus mit dem Schuft!“, ZEIT ONLINE: „Hitlers Lehrmeister“ vom 6. Juni 1986 sowie hier „Das Drama um die St. Louis“ und „Zum Wandel unserer Begrüßungskultur“!)
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