Purpose?
Alles redet vom „Purpose“. Im beruflichen Netzwerk Xing gibt es inzwischen eine ganze Serie von redaktionellen Beiträgen zum Thema. Mir scheint, dass ich genau zur richtigen Zeit in Regelaltersrente gegangen bin, denn so muss ich mich damit nicht mehr herumschlagen und mir den ganzen Tag überlegen, was mein „Purpose“ ist oder sein könnte, anstatt einfach nur meine Arbeit möglichst gut zu machen und dabei zufrieden zu sein. Eine Arbeit allerdings, die ich freiwillig gewählt hatte und mir nicht aufgezwungen wurde. Und die ich nicht nur deswegen gern erledigte, sondern auch, weil sie meiner Berufung entsprach.
Wenn ich die Beiträge um diesen Modebegriff verfolge, kommt es mir jedoch so vor, als ob das bei kaum jemand (mehr) der Fall ist. Es muss nachträglich ein (tieferer) Sinn oder Zweck gefunden werden, warum jemand das tut, was er/sie tut, – und sich selbst antut.
Und es kommt mir vor wie ein weiterer Versuch einer sich selbst langsam, aber sicher auslöschenden Wirtschaftsordnung, des Kapitalismus mit seiner angeblich so sozialen Marktwirtschaft, mithilfe einer künstlichen Wortschöpfung vom eigenen Niedergang abzulenken. Eine Ablenkung von dem ganzen sozialen und ökologischen Desaster, das dieses System angerichtet hat und noch anrichten wird. Und um die Arbeitgeber- und vor allem -nehmerschaft bei der Stange zu halten. Solange der „Purpose“ stimmt, kann ja alles gar nicht so schlecht sein!
Die (Auf)dringlichkeit, mit der das Thema immer wieder aufs Tapet gebracht wird, grenzt inzwischen an schiere Verzweiflung. Und an militärische Appelle mit sich überschlagender Stimme:
- Purpose finden oder wenigstens darüber nachdenken, wegtreten und weitermachen!
Zumindest so lange, bis jemand das nächste Schlagwort gefunden hat und andere es hochkochen. Bis zum endgültigen Untergang.
(Siehe bei Xing „Wirtschaft im Wandel: Wie Purpose unsere Zukunft bestimmt“ und bei Setzfehler: „Sprachmüll am Arbeitsplatz“. Hier könnten auch „Arbeit, unsere Religion?“, „Was tun? Über Sinn und Wandel menschlicher Arbeit“ und „Mit dem Obstkorb ist es nicht getan!“ interessant sein.)
Die Wirtschaft erklärt sich selbst zur heiligen Kuh und die dürfen wir nicht schlachten! Welchen Zweck (Purpose) dies hat: Erhalt der Bedingungen, von denen nur wenige profitieren und unter denen weit mehr Menschen leiden.
Danke für den Kommentar; besser hätte ich ihn nicht formulieren können.
In einer Welt, in der das Stellen von Sinnfragen nicht nur unmodern sondern oftmals unerwünscht ist, muss offensichtlich der Sinn wieder durch die Hintertür etabliert werden, in dem man einen coolen Anglizismus verwendet. Als Rucola noch Rauke hieß, hat sich auch niemand für diesen Salat interessiert.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass, die Sinnfrage im Zusammenhang besonders mit Arbeit zu stellen, geradezu verpönt war. Lange ist das noch nicht her.
Danke für den Kommentar; der Vergleich mit der Rauke gefällt mir!
Rucola-Rauke, das sagt mehr als tausend Worte. Top!
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